Entscheidungsstichwort (Thema)
Prozessunterbrechung durch Insolvenz. Wiederaufnahme des Prozesses nach Insolvenzeröffnung. Betriebsstilllegung als Grund einer betriebsbedingten Kündigung. Ultima-ratio-Prinzip bei betriebsbedingter Kündigung. Auflösungsantrag nach § 9 Abs. 1 Satz 1 KSchG
Leitsatz (redaktionell)
1. Ein Kündigungsrechtsstreit wird durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens unterbrochen, weil eine Kündigungsschutzklage immer die Insolvenzmasse betrifft, da sie den Weg für vermögensrechtliche Ansprüche ebnet.
2. Durch Insolvenz unterbrochene Rechtsstreite können sowohl vom Insolvenzverwalter als auch vom Prozessgegner aufgenommen wenn, wenn u.a. Masseverbindlichkeiten betroffen sind.
3. Fällt der Bedarf an Beschäftigung auf Dauer z.B. durch eine Betriebsschließung weg, ist ein dringendes betriebliches Erfordernis für eine betriebsbedingte Kündigung gegeben. Es muss der endgültige Entschluss zur Betriebsstilllegung gefasst sein und die geplante Maßnahme muss zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung bereits "greifbare Formen" angenommen haben.
4. Das Merkmal der "Dringlichkeit" der betrieblichen Erfordernisse ist Ausdruck des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit (ultima-ratio-Prinzip), aus dem sich ergibt, dass der Arbeitgeber vor jeder ordentlichen Beendigungskündigung von sich aus dem Arbeitnehmer eine sowohl diesem als auch ihm selbst objektiv mögliche anderweitige Beschäftigung auf einem freien Arbeitsplatz, ggf. zu geänderten Bedingungen, anbieten muss.
5. Für den Auflösungsantrag muss kein wichtiger Grund i.S.d. § 626 Abs. 1 BGB vorliegen, aber allein die Sozialwidrigkeit einer Kündigung reicht dafür auch nicht aus. Es bedarf vielmehr zusätzlicher, vom Arbeitnehmer darzulegender Umstände, die zeigen, dass eine Vertrauensgrundlage für eine sinnvolle Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr besteht.
Normenkette
KSchG § 1 Abs. 2, § 4 S. 1, § 9 Abs. 1 S. 1; InsO § 86 Abs. 1 Nr. 3, § 240 S. 1, § 270 Abs. 1 S. 1; ZPO §§ 240, 250, 308 Abs. 1; BGB § 626 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Mainz (Entscheidung vom 25.02.2021; Aktenzeichen 7 Ca 560/20) |
Tenor
I.
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz - Auswärtige Kammern Bad Kreuznach - 7 Ca 560/20 - vom 25. Februar 2021 unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen teilweise abgeändert und der Klarstellung halber insgesamt wie folgt neu gefasst:
- Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers zur Beklagten durch die Kündigung der Beklagten vom 22. Juli 2021 nicht aufgelöst worden ist.
- Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II.
Die Kosten des Rechtsstreits erster und zweiter Instanz tragen die Parteien jeweils zur Hälfte.
III.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung und einen Anspruch auf Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegen Abfindungszahlung.
Der bei Kündigungsausspruch 57 Jahre alte, ledige Kläger ist bei der Beklagten, die bundesweit in diversen Filialen mit insgesamt mehr als 200 Mitarbeitern Dienstleistungen im Schwerpunktbereich Schuh- und Schlüsseldienst erbringt und Produkte vertreibt, seit dem 01. Januar 2006, zuletzt in der Filiale A-Stadt in der Betriebsstätte der Z. GmbH & Co.KG beschäftigt.
Mit Schreiben vom 22. Juli 2020 (Bl. 4 d. A.) kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 31. Dezember 2020. Zuvor erstattete sie am 16. Juli 2020 Massenentlassungsanzeige gegenüber der Bundesagentur für Arbeit, hinsichtlich deren Angaben im Einzelnen auf Bl. 35 f. d. A. verwiesen wird.
Der Kläger hat am 27. Juli 2020 beim Arbeitsgericht Mainz - Auswärtige Kammern Bad Kreuznach - vorliegende Klage gegen die Kündigung erhoben, die der Beklagten am 31. Juli 2020 zugestellt worden ist.
Mit Beschluss vom 01. August 2020 hat das Amtsgericht Düsseldorf 000 IN 00/20 - über das Vermögen der Beklagten das Insolvenzverfahren eröffnet, sowie Eigenverwaltung unter Aufsicht eines bestellten Sachwalters angeordnet. Im Beschluss hat das Amtsgericht Masseunzulänglichkeit festgestellt.
Mit Schreiben vom 28. August 2020 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis erneut ordentlich zum 30. November 2020. Gegen diese Kündigung hat der Kläger am 02. September 2020 beim Arbeitsgericht eine weitere Klage erhoben, die unter dem Aktenzeichen 7 Ca 635/20 (= LAG Rheinland-Pfalz 6 Sa 78/21) geführt wird. Im Verlauf dieses Rechtsstreits hat die Beklagte dem Kläger mit dortigem Schriftsatz vom 05. Oktober 2020 eine Beschäftigung in Y-Stadt im Schichtsystem mit werktäglich sechs Stunden angeboten. Der Kläger hat diese Weiterbeschäftigung im Verfahren abgelehnt.
Die Filiale der Beklagten in A-Stadt wird seit August 2020 nicht mehr von ihr betrieben. Der Kläger ist seit November 2020 in der ehemaligen Filiale der Beklagten in neuer Anstellung bei einem neuen Betreiber tätig.
Das Arbeitsgericht hat nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Beklagten den Kläger darauf hingewiesen, dass das Verfahren auch bei Anordnung der Eigenverwaltung durch Erö...