Entscheidungsstichwort (Thema)

Betriebsrat. Nachwirkung einer Betriebsvereinbarung. Mitbestimmungsrecht. freiwillige Zulage. Kündigung einer Betriebsvereinbarung zu außertariflichen Zulagen. unbegründete Zahlungsklage bei Ausschluss der Nachwirkung bezüglich mitbestimmungsfreier Leistungen

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Gemäß § 77 Abs. 6 BetrVG gelten die Regelungen einer Betriebsvereinbarung in Angelegenheiten, in denen ein Spruch der Einigungsstelle die Einigung zwischen Arbeitgeberin und Betriebsrat ersetzen kann und damit in Angelegenheiten der zwingenden Mitbestimmung weiter, bis sie durch eine andere Abmachung ersetzt werden; Betriebsvereinbarungen über Gegenstände, die nicht der zwingenden Mitbestimmung unterliegen, entfalten kraft Gesetzes keine Nachwirkung.

2. Enthält eine Betriebsvereinbarung nebeneinander sowohl mitbestimmungspflichtige als auch freiwillige Regelungen, erstreckt sich die Nachwirkung grundsätzlich nur auf die Bestimmungen über mitbestimmungspflichtige Angelegenheiten, sofern sie eine aus sich heraus handhabbare Regelung enthalten.

3. Beabsichtigt die Arbeitgeberin mit der Kündigung einer bestehenden Betriebsvereinbarung eine Änderung der nicht der Mitbestimmung unterliegenden Umstände (Erbringung der zusätzlichen Leistungen, Dotierungsrahmen), scheidet eine Nachwirkung aus; will die Arbeitgeberin dagegen mit der Kündigung eine Änderung des derzeitigen Verteilungs- und Leistungsplans erreichen, wirkt die gekündigte Betriebsvereinbarung solange nach, bis sie durch eine andere ersetzt wird.

4. Für die Beantwortung der Frage nach der Nachwirkung gemäß § 77 Abs. 6 BetrVG ist auf die konkret gekündigte Betriebsvereinbarung und den diesbezüglichen Willen der Arbeitgeberin abzustellen; andere freiwillige Leistungen aufgrund weiterer Betriebsvereinbarungen bleiben damit unberücksichtigt.

5. Will die Arbeitgeberin zukünftig für einen von ihr festgelegten Leistungszweck keine finanziellen Mittel bereitstellen und kommt durch die Kündigung der Arbeitgeberin der Wille zum Ausdruck, finanzielle Mittel zukünftig für diesen Leistungszweck nicht mehr bereit zu stellen, kommt eine Nachwirkung nicht in Betracht, da nur auf diesen Leistungszweck abzustellen ist.

6. Bei Vergütungsbestandteilen, die weder auf einer vertraglichen oder einer sonstigen Rechtsgrundlage beruhen, kann die Arbeitgeberin mitbestimmungsfrei über die Höhe der von ihr zur Verfügung gestellten Finanzmittel und über den Leistungszweck entscheiden; an diese Feststellung ist nicht nur der Betriebsrat sondern im Konfliktfall auch die Einigungsstelle gebunden.

7. Entscheidet sich die Arbeitgeberin, für eine solche zusätzliche Leistung keine Mittel mehr bereitzustellen, fehlt es an einer ausgestaltungsfähigen Verteilungsmasse.

 

Normenkette

BetrVG § 77 Abs. 6, § 87 Abs. 1; BGB § 611 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Ludwigshafen (Entscheidung vom 27.01.2011; Aktenzeichen 5 Ca 596/10)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 09.07.2013; Aktenzeichen 1 AZR 275/12)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten werden die Urteile des Arbeitsgerichts Ludwigshafen - Auswärtige Kammern Landau - vom 27.01.2011 - 5 Ca 596/10, 476/10, 590/10 und 270/10 - aufgehoben.

Die Klagen werden zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens haben ab der Verbindung die Kläger zu jeweils ¼, zuvor die Kläger für das jeweilige Berufungsverfahren zu tragen.

Die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens haben die Kläger jeweils zu tragen.

Die Revision gegen dieses Urteil wird jeweils für die Kläger zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien des vorliegenden Rechtsstreits streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, an die Kläger weiter eine übertarifliche Zulage zu zahlen.

Die Kläger sind bei der Beklagten langjährig als Mitarbeiter der Abteilung Endfertigung im Bereich 5-Schicht-Contibetrieb bzw. im Bereich Aufteilanlage beschäftigt.

Bei der Beklagten handelt es sich um einen holzverarbeitenden Betrieb. Ein Betriebsrat ist gebildet. Auf das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien finden die Tarifverträge für die holz- und kunststoffverarbeitende Industrie Rheinland-Pfalz Anwendung. Im Betrieb der Beklagten bestanden verschiedene Betriebsvereinbarungen, in denen die Zahlung von übertariflichen Zulagen geregelt waren.

Dazu gehört die Betriebsvereinbarung 5-Schicht-Contibetrieb (vgl. Bl. 35 bis 37 d. A.). Deren Ziffer 6 enthält die streitgegenständliche außertarifliche Zulage in Höhe von 130,00 EUR monatlich. Diese Betriebsvereinbarung hat die Beklagte neben weiteren Betriebsvereinbarungen zum 31.12.2009 gekündigt. Seit dem 01.01.2010 zahlt die Beklagte diese Zulage und weitere Zulagen, die in den anderen gekündigten Betriebsvereinbarungen geregelt waren, nicht mehr.

Daneben bestand die Betriebsvereinbarung Endfertigung (A. I - A. II-Verladung), hinsichtlich deren Inhalt auf Bl. 40 bis 41 d. A., 5 Sa 169/11, Bezug genommen wird, die in Ziffer 3 die streitgegenständliche außertarifliche Zulage in Höhe von 74,00 EUR monatlich vorsieht. Auch diese Betriebsvereinbarung hat die Beklagte zum 31.12.2009 gekündigt. Zum 01...

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