Entscheidungsstichwort (Thema)
Anrufung. Auskunft. Lohnsteuer, Abstufung. Lohnsteuer, pauschale. Schadenersatz. Sozialabgaben
Leitsatz (redaktionell)
Der Arbeitgeber haftet dem Arbeitnehmer auf Schadenersatz, wenn er bei der Einhaltung der Abführung der Lohnsteuer- und Sozialversicherungsbeiträge schuldhaft Nebenpflichten verletzt, dadurch Schäden des Arbeitnehmers verursacht und dem Arbeitnehmer kein Mitverschulden zur Last gelegt werden kann. Dabei hat der Arbeitgeber für die verkehrsübliche Sorgfalt einzustehen (§ 276 BGB). Dies zieht bei unklarer Rechtslage regelmäßig die Notwendigkeit nach sich, eine Anrufungsauskunft beim Betriebsstättenfinanzamt einzuholen (§ 42e EStG).
Normenkette
BGB § 241 II, § 280; ESTGB § 42e
Verfahrensgang
ArbG Koblenz (Urteil vom 21.09.2011; Aktenzeichen 4 Ca 754/11) |
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 21.09.2011 – 4 Ca 754/11 – teilweise wie folgt abgeändert:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 690,80 EUR netto nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 05.02.2011 zu zahlen.
Die Kosten des Verfahrens werden gegeneinander aufgehoben.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
In der Berufungsinstanz verfolgt die geringfügig beschäftigt gewesene Klägerin einen Schadensersatzanspruch, der auf eine unrichtige Handhabung des Arbeitsverhältnisses zurückgeführt wird.
Die Klägerin wurde seit Januar 2007 auf der Grundlage eines Arbeitsvertrages vom 03. Dezember 2009 bei der Beklagten als geringfügig beschäftigte Produktionsmitarbeiterin tätig. Als Beschäftigung waren „voraussichtlich im Monat bis zu sechs Tagen/über sechs Tage” vereinbart. Der Lohn war 7,51 EUR brutto festgesetzt und ferner vereinbart, dass der Arbeitgeber die Pauschalsteuer trägt. In § 6 des Arbeitsvertrages wurde erklärt, dass derzeit kein weiteres Beschäftigungsverhältnis ohne Lohnsteuerkarte bzw. mit Pauschalversteuerung besteht.
Zugleich war die Verpflichtung aufgenommen, dass bei einer zusätzlichen Tätigkeit eine Meldepflicht gegenüber der Gehaltsbuchhaltung besteht.
In einer Selbstauskunft erklärte die Klägerin gegenüber der Beklagten bei Vertragsschluss, dass sie neben dieser geringfügig entlohnten Beschäftigung keine weitere Beschäftigung habe.
Die Klägerin hatte monatlich schwankende Arbeitszeiten. Ihr wurde mitgeteilt, dass dies durch ein Arbeitszeitkonto geregelt würde. So leistete die Klägerin im März 2010 etwa 134 Arbeitsstunden, erhielt jedoch als Arbeitsvergütung für 52,62 Stunden einen Betrag von 399,98 EUR. Im April 2010 wurde die Klägerin sodann unter Fortzahlung ihrer Bezüge von 399,98 EUR nicht zur Arbeitsleistung herangezogen. Von Mai bis Oktober 2010 sammelte die Klägerin auf dem Arbeitszeitkonto 181,79 zusätzliche Stunden an.
Als der Controller der Beklagten feststellte, dass infolge der vereinbarten Arbeitszeitkonten einige geringfügige Beschäftigte in manchen Monaten mehr Arbeitsleistung erbracht hätten, als einem Monatsverdienst von „400,00 EUR brutto” entsprochen habe, ordnete der Geschäftsführer der Beklagten entsprechende Rückrechnungen an. Am 13. Dezember 2010 informierte die Beklagte die Klägerin darüber, dass sie rückwirkend ein Sozialversicherungsarbeitsverhältnis mit der Klägerin anmelden werde. Daraufhin erklärte die Klägerin erstmals, sie arbeite bereits auf Lohnsteuerkarte (Bl. 39 d. A.).
Die Klägerin hat erstinstanzlich vorgetragen, für die auf dem Arbeitszeitkonto angesammelte Leistung sei ein Betrag von 1.381,60 EUR zu zahlen. Insgesamt stünde ihr nach der tatsächlich erbrachten Arbeitsleistung für die Monate März bis November 2010 ein Betrag von 4.642,18 EUR zu, worauf die Beklagte tatsächlich lediglich 3.260,64 EUR bezahlt habe. Die Beklagte habe die illegale Handhabung veranlasst und sei deshalb wegen Verletzung der Fürsorgepflicht schadensersatzpflichtig. Sie – die Klägerin – habe erst am 18. März 2010 in einem weiteren Arbeitsverhältnis Zeitungen ausgetragen und dies Frau W von der Beklagten sofort ausdrücklich mitgeteilt. Frau W habe erklärt, dies sei kein Problem; man werde dies über ein Arbeitszeitkonto abrechnen.
Die Klägerin hat erstinstanzlich beantragt,
die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.381,60 EUR netto nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 05.02.2011 zu zahlen.
Die Beklagte hat
Klageabweisung beantragt
und erwidert, angesichts der aufgelaufenen Stunden habe sie bei der Klägerin nicht mehr von einem sozialversicherungs- und steuerrechtlich privilegierten geringfügigen Beschäftigungsverhältnis ausgehen können.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Koblenz vom 21. September 2011 – 4 Ca 754/11 – Seite 3 bis 6 (= Bl. 68 – 71 d. A.) Bezug genommen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen und – soweit für das Berufungsverfahren von Interesse – zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, eine rückwirkende Belastung mit Steuern- und Sozialversicherungsbeiträgen erscheine pflichtwidrig, weil hier keine der Parteien Anhaltspunkte für eine u...