Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankheitsbedingte Kündigung eines schwerbehinderten Packers. Unbegründete Kündigungsschutzklage bei unzureichenden Darlegungen des Arbeitnehmers zu den betrieblichen Auswirkungen erheblicher krankheitsbedingter Fehlzeiten und zum Einsatz auf anderen Arbeitsplätzen

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Der Begriff der krankheitsbedingten Kündigung erfasst alle Fallgestaltungen, in denen eine arbeitgeberseitige Kündigung durch eine Erkrankung des Arbeitnehmers veranlasst worden ist; die Erkrankung des Arbeitnehmers als solche kann jedoch eine Kündigung niemals begründen oder eine Kündigung unter Hinweis auf eine andauernde oder frühere Krankheit sozial rechtfertigen, denn die Erkrankung des Arbeitnehmers spielt lediglich insoweit eine Rolle, als sie Ursache der betriebsstörenden Nichtbesetzung des Arbeitsplatzes ist und unter Umständen Anhaltspunkte für die erforderliche Krankheitserwartung in der Zukunft ("negative Gesundheitsprognose") liefert.

2. Eine personenbedingte Kündigung wegen krankheitsbedingter Fehlzeiten in der Vergangenheit setzt im Einzelnen voraus, dass eine negative Gesundheitsprognose (als tatsächlich begründete Krankheitserwartung für die Zukunft) gegeben ist, dass mit erheblichen betrieblichen Auswirkungen im Sinne von Entgeltfortzahlungskosten in Zukunft zu rechnen ist, dass im Rahmen der Interessenabwägung das Interesse der Arbeitgeberin an der Beendigung des zwischen den Parteien bestehenden Arbeitsverhältnisses unter Einhaltung der anwendbaren Kündigungsfrist das Interesse des Arbeitnehmers an der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses überwiegt und dass schließlich auch die gesetzlichen Vorgaben zum betrieblichen Eingliederungsmanagement (§ 84 Abs. 2 SGB IX) kein abweichendes Ergebnis rechtfertigen.

3. Hat die Arbeitgeberin für den Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung zur Begründung einer negativen Gesundheitsprognose dargelegt, dass der Arbeitnehmer auch nach einer im Mai 2007 vereinbarten Verringerung der Arbeitszeit von 24 Stunden (an 4 Arbeitstagen pro Woche) im Jahre 2008 an 72 Arbeitstagen, 2009 an 168 Arbeitstagen, 2010 an 77 Arbeitstagen, 2011 an 87 Arbeitstagen und 2012 bis zum Ausspruch der Kündigung am 26.07.2012 an 46 Arbeitstagen arbeitsunfähig erkrankt war, und lassen diese erheblichen Fehlzeiten die Schlussfolgerung zu, dass auch in Zukunft mit weiteren erheblichen Fehlzeiten gerechnet werden muss, hat der Arbeitnehmer durch Tatsachen begründet darzulegen, dass entgegen der Auffassung der Arbeitgeberin mit einer anderen Gesundheitsprognose zu rechnen ist.

4. Ist das Arbeitsverhältnis als Austauschverhältnis von Arbeitsleistung gegen Arbeitsentgelt durch krankheitsbedingte Lohnfortzahlungen in der Vergangenheit empfindlich gestört und liegt damit aufgrund der Fehlzeiten eine erhebliche wirtschaftliche Beeinträchtigung der Arbeitgeberin vor, ist in Ermangelung gegenteiliger Darlegungen des Arbeitnehmers davon auszugehen, dass auch zukünftig das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch erhebliche krankheitsbedingte Kosten, die über das Lohnfortzahlungsgesetz hinausgehen, belastet sein wird.

5. Ohne betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) gemäß § § 84 Abs. 2 SGB IX kann sich die Arbeitgeberin nicht pauschal darauf berufen, dass ihr keine der Erkrankung angemessenen Einsatzmöglichkeiten bekannt sind, da sie aus einer gesetzwidrigen Untätigkeit keine darlegungs- und beweisrechtlichen Vorteile ziehen darf; insoweit bedarf es vielmehr eines umfassenden konkreten Sachvortrags der Arbeitgeberin zu einem nicht mehr möglichen Einsatz des Arbeitnehmers auf dem bisher innegehabten Arbeitsplatz und einer nicht durchführbaren leidensgerechten Anpassung und Veränderung des Arbeitsplatzes oder eines anderweitigen Einsatzes auf einem anderen Arbeitsplatz.

6. Da das betriebliches Eingliederungsmanagement gemäß § § 84 Abs. 2 SGB IX selbst kein milderes Mittel gegenüber einer Kündigung und damit auch keine Wirksamkeitsvoraussetzung für den Ausspruch einer Kündigung darstellt, ist eine krankheitsbedingte Kündigung dann nicht als unverhältnismäßig anzusehen, wenn die Arbeitgeberin umfassend bestimmt vorträgt, dass sie den Arbeitnehmer nicht auf einem anderweitigen Arbeitsplatz bei geänderter Tätigkeit einsetzen kann, weil der Arbeitnehmer die auf den vorhanden leichteren Arbeitsplätzen erforderlichen Tätigkeiten nicht ausüben kann; einem solchen durch Tatsachen begründeten Sachvortrag der Arbeitgeberin hat der Arbeitnehmer seinerseits durch tatsachenbegründete Darlegungen nach Inhalt, Ort, Zeitpunkt und beteiligten Personen entgegenzutreten und etwa im Einzelnen aufzuzeigen, welche Tätigkeiten er im Betrieb der Arbeitgeberin unter Berücksichtigung seiner Fähigkeiten tatsächlich ausüben kann.

 

Normenkette

KSchG §§ 1, 1 Abs. 2 S. 1 Alt. 1; SGB IX § 84 Abs. 2; ZPO § 138 Abs. 1-2

 

Verfahrensgang

ArbG Ludwigshafen (Entscheidung vom 06.08.2013; Aktenzeichen 6 Ca 827/12)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen - Auswärtige Kammern ...

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