Entscheidungsstichwort (Thema)

Reduzierung des Antrags im Kündigungsschutzprozess auf Auflösung des Arbeitsverhältnisses. Heimlicher Mitschnitt eines Personalgesprächs als fristloser Kündigungsgrund. Unverhältnismäßigkeit der fristlosen Kündigung wegen langer Betriebszugehörigkeit und vermindertem Verschuldensgrad (Einzelfallentscheidung)

 

Leitsatz (redaktionell)

Der heimliche Mitschnitt eines Personalgesprächs ist eine Straftat und stellt eine schwerwiegende Pflichtverletzung dar. Dennoch ist eine fristlose Kündigung aufgrund der langen Betriebszugehörigkeit - hier mehr als 25 Jahre - und des verringerten Verschuldensgrades im Ergebnis unverhältnismäßig.

 

Normenkette

BGB § 241 Abs. 2, § 626 Abs. 1; KSchG § 4 S. 1; ZPO § 322; StGB § 201

 

Verfahrensgang

ArbG Koblenz (Entscheidung vom 04.03.2020; Aktenzeichen 4 Ca 2402/19)

 

Tenor

  • I.

    Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 04. März 2020 - 4 Ca 2402/19 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

  • II.

    Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten im Berufungsverfahren noch über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, fristlosen Kündigung der Beklagten.

Der 1961 geborene, verheiratete Kläger ist seit dem 1. März 1994 im Einzelhandelsunternehmen der Beklagten als Staplerfahrer bei einer Bruttomonatsvergütung von zuletzt durchschnittlich 3.100,00 Euro beschäftigt. Dem Kläger wurde mit Bescheid des Amtes für soziale Angelegenheiten vom 17. Dezember 2018 (Bl. 132 d. A.) ua. aufgrund einer psychischen Beeinträchtigung (Depression mit Somatisierung) (30) und einer koronaren Herzkrankheit mit Hinterwandnarbe, Bypass-Operation, Stenting (10) ein Grad der Behinderung von 50 zuerkannt.

Die Beklagte beschäftigt regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer mit Ausnahme der Auszubildenden. Im Beschäftigungsbetrieb des Klägers ist ein Betriebsrat gewählt und es besteht eine Schwerbehindertenvertretung.

Für den 24. Juli 2019 hatte der Kläger, dem im Jahr 2018 im Rahmen einer Herz-Operation ein Defibrillator eingesetzt worden war, um 12.00 Uhr einen Kontrolluntersuchungstermin im Krankenhaus vereinbart, den er nach einer Absprache mit dem Teamleiter Z. in der Vorwoche während der Arbeitszeit wahrnehmen durfte. Gegen 10.30 Uhr erinnerte der Kläger am 24. Juli 2019 den weiteren Teamleiter Y., dem der Termin bekannt war, daran, dass er um 12.00 Uhr einen Untersuchungstermin beim Arzt wahrnehmen müsse. Hinter dem Stapler des Klägers befand sich zu diesem Zeitpunkt der Staplerfahrer X., der sich mit dem weiteren Teamleiter Z. unterhielt. Auf Nachfrage des Klägers, ob er nach dem Arztbesuch seine Tätigkeit wiederaufnehmen müsse, forderte der Zeuge Y. den Kläger auf, wiederzukommen, sofern noch eine Arbeitszeit von mehr als 30 Minuten möglich sei. Der Kläger zeichnete das Gespräch mit dem Zeugen Y. auf seinem Smartphone auf, ohne den Zeugen hierüber zuvor in Kenntnis zu setzen. Ob der Zeuge Y. sich im Gespräch mit dem Kläger lautstark und unangemessen verhalten hat, ist zwischen den Parteien streitig.

Kurz nach dem Gespräch beschwerte sich der Kläger beim Lagerleiter W. über das Verhalten des Zeugen Y. und erklärte, dieser habe ihn lautstark und in unangemessenem Tonfall zur Wiederaufnahme der Arbeit aufgefordert. Der Lagerleiter erkundigte sich daraufhin bei den Teamleitern Y. und Z. nach dem Gesprächsverlauf. Als sich hierbei die Darstellung des Klägers nicht bestätigte, befragte der Lagerleiter nochmals den Kläger, der auf seiner Beschwerde beharrte und mitteilte, dass er den Sachverhalt beweisen könne, weil er das Gespräch mithilfe seines Smartphones aufgezeichnet habe. Er spielte den Gesprächsmitschnitt sodann den Zeugen W., Y. und Z. vor. Der Mitschnitt wurde etwa 8 Sekunden vor der ersten Gesprächsäußerung gestartet und dauert insgesamt etwa 2 Minuten. Der Kläger ist in der Aufnahme klar und deutlich zu verstehen, während der Zeuge Y. wegen der Hintergrundgeräusche und der Entfernung zum Aufnahmegerät jedenfalls schwerer zu verstehen ist. Auf Nachfrage teilte der Kläger mit, dass er das Gespräch aufgezeichnet habe, weil der Zeuge Y. dafür bekannt sei, Mitarbeiter unangemessen zu behandeln. Der Kläger wurde im Anschluss an das Gespräch mit sofortiger Wirkung freigestellt und zu einem Personalgespräch für Freitag, den 26. Juli 2019 eingeladen.

Am Freitag, den 26. Juli 2019 bestätigte der Zeuge X. im Beisein des Betriebsratsmitglieds V. gegenüber dem Personalreferenten der Beklagten U. und dem Lagerleiter W. inhaltlich die Behauptungen des Klägers zum Vorfall vom 24. Juli 2019.

Jedenfalls im am gleichen Tag geführten Personalgespräch, an dem neben den Zeugen U. und W., der Kläger, dessen Ehefrau, das Betriebsratsmitglied V., die Schwerbehindertenvertreterin T. (zugleich Betriebsratsmitglied) und auf Wunsch des Klägers der Zeuge X. teilnahmen, erklärte der Kläger, dass er künftig keine Gespräche mehr heimlich aufzeichnen werde. Ob der Kläger diese Erklärung auch bereits am 24. Juli 2019 abgegeben hat, ist zwischen den Parteien streitig.

Die Beklagte ...

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