Entscheidungsstichwort (Thema)

Anforderungen an den Nachweis der Schwerbehinderteneigenschaft gegenüber dem Arbeitgeber

 

Leitsatz (amtlich)

Der Nachweis der Schwerbehinderteneigenschaft gegenüber dem Arbeitgeber ist dann entbehrlich, wenn die Schwerbehinderung offenkundig ist. Dabei muss jedoch nicht nur das Vorliegen einer oder mehrerer Beeinträchtigungen offenkundig sein, sondern auch, dass der Grad der Behinderung auf wenigstens 50 in einem Feststellungsverfahren festgesetzt würde (Anschluss an BAG, 13.10.2011 - 8 AZR 608/10 - Rn. 42).

 

Normenkette

SGB IX §§ 69, 85, 90 Abs. 2 a

 

Verfahrensgang

ArbG Koblenz (Entscheidung vom 02.06.2016; Aktenzeichen 5 Ca 1808/14)

 

Tenor

  1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 2. Juni 2016, Az. 5 Ca 1808/14, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
  2. Die Revision wird nicht zugelassen.
 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung.

Der 1951 geborene, verheiratete Kläger war seit Mai 2006 bei der Beklagten zu einem Bruttomonatslohn von zuletzt 2.000 EUR als Konstruktionsmechaniker beschäftigt. Die Beklagte befasste sich mit Herstellung und Montage von Fenstern, Türen und Fassaden aus Aluminium. Sie beschäftigte Ende April 2014 61 Arbeitnehmer; ein Betriebsrat bestand nicht. Der Alleingesellschafter und Geschäftsführer der Beklagten fasste am 22.04.2014 den Beschluss, seinen Betrieb stillzulegen. Mit Schreiben vom 23.04.2014 erstattete der jetzige Prozessbevollmächtigte der Beklagten bei der zuständigen Agentur für Arbeit eine Massenentlassungsanzeige, die auszugsweise folgenden Wortlaut hat:

"Unsere Mandantin unterhält [...] einen Gewerbebetrieb, der Aluminiumfenster und -türen und Fassadenbau ausführt. Der Gewerbebetrieb besteht seit über 40 Jahren und derzeit sind dort insgesamt 62 Arbeitnehmer beschäftigt, die sich in 61 Arbeitnehmern und einem Auszubildenden aufgliedern. Wir überreichen als Anlage eine Liste der Mitarbeiter, aus der Name, Anschrift und Betriebszugehörigkeit hervorgehen. Außerdem ist das letzte gezahlte Nettogehalt aufgeführt. Ein Betriebsrat besteht nicht.

Seit Jahren erwirtschaftet der Betrieb keine Gewinne mehr. Die Auftragslage hat sich drastisch verschlechtert, was bedeutet, dass meine Mandantin dieses Jahr noch keinen neuen Auftrag erhalten hat. Zurzeit werden lediglich die Altaufträge aus den vergangenen Jahren abgearbeitet sowie Garantiefälle. Eine Besserung ist nicht in Sicht. Der alleinige Geschäftsführer [...] ist am 07.05.1942 geboren. Er hat schon seit Jahren versucht - da er keinen Nachfolger hat - den Betrieb zu veräußern, was ebenfalls an den betrieblichen Bilanzen scheiterte.

Um ein drohendes Insolvenzverfahren abzuwenden, hat sich die Geschäftsleitung entschlossen, den Geschäftsbetrieb zum 30.04.2014 einzustellen bzw. die Betriebsstilllegung vorzunehmen. Das operative Geschäft wird zu diesem Zeitpunkt beendet. Danach werden lediglich die alten Aufträge noch abgearbeitet und die oben erwähnten Garantiefälle. Folge ist, dass sämtliche Mitarbeiter gekündigt werden müssen, da der Arbeitsplatz wegfällt. Die Kündigungsfrist beträgt zwischen 1 und 7 Monaten, wie Sie aus anliegender Arbeitnehmerliste entnehmen können.

Da somit der Arbeitsplatz zum 30.04.2014 wegfällt, sollen die Arbeitnehmer ein- schließlich des Lehrlings unter Berücksichtigung der ordentlichen Kündigungsfristen gekündigt werden. Wir bitten insoweit um Genehmigung."

Am 25.04.2014 informierte der Geschäftsführer die Belegschaft über die geplante Betriebsstilllegung und die damit verbundenen Kündigungen. Auf ihrer Internetseite veröffentlichte die Beklagte folgenden Text:

"Liebe Kunden, leider hat unser Betrieb seit Jahren keine betrieblichen Gewinne mehr erwirtschaftet. ... Eine Besserung der wirtschaftlichen Situation ist nicht in Sicht ...

Aus diesem Grund hat sich die Betriebsleitung entschlossen, den Betrieb zum 30.04.2014, auch aus altersbedingten Gründen [...] zu schließen, was bedeutet, dass zu diesem Zeitpunkt das operative Geschäft aufgegeben wird. Danach werden lediglich noch die Altverträge und die Garantiefälle abgearbeitet. ..."

Dem Kläger war mit Bescheid vom 07.08.2012 ein Grad der Behinderung (GdB) von 40 zuerkennt worden. Unter dem Datum vom 25.04.2014 stellte er einen Verschlimmerungsantrag. Mit Schreiben vom 28.04.2014 kündigte die Beklagte sämtlichen Arbeitnehmern wegen beabsichtigter Betriebsstilllegung. Dem Kläger kündigte sie ordentlich zum 31.07.2014. Das Kündigungsschreiben ging ihm am 29.04.2014 zu. Gegen die Kündigung erhob der Kläger am 06.05.2014 die vorliegende Klage. Er ist der Ansicht, die Kündigung sei schon mangels vorheriger Zustimmung des Integrationsamts unwirksam. Sie sei überdies sozial nicht gerechtfertigt und rechtsmissbräuchlich. Außerdem fehle es an einer ordnungsgemäßen Massenentlassungsanzeige.

Mit Bescheid vom 08.08.2014 stellte das zuständige Versorgungsamt "auf den am 05.05.2014 eingegangenen Antrag" des Klägers einen GdB von 50 fest. Im Bescheid wurden die Auswirkungen folgend...

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