Entscheidungsstichwort (Thema)
Begriff der dringenden betrieblichen Erfordernissen iSv. § 1 Abs. 2 KSchG
Leitsatz (redaktionell)
Die Stilllegung des gesamten Betriebes durch den Arbeitgeber gehört zu den dringenden betrieblichen Erfordernissen iSv. § 1 Abs. 2 KSchG.
Normenkette
KSchG § 1 Abs. 2
Verfahrensgang
ArbG Koblenz (Entscheidung vom 03.12.2015; Aktenzeichen 5 Ca 1896/14) |
Tenor
- Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 3. Dezember 2015, Az. 5 Ca 1896/14, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
- Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung und auf den zweitinstanzlichen Hilfsantrag des Klägers über eine Abfindung.
Der 1960 geborene, verheiratete Kläger war seit Februar 1993 bei der Beklagten zu einem Bruttomonatslohn von zuletzt ca. 2.150,00 EUR als Montagehelfer beschäftigt. Die Beklagte befasste sich mit Herstellung und Montage von Fenstern, Türen und Fassaden aus Aluminium. Sie beschäftigte Ende April 2014 61 Arbeitnehmer; ein Betriebsrat bestand nicht. Der Alleingesellschafter und Geschäftsführer der Beklagten fasste am 22.04.2014 den Beschluss, seinen Betrieb stillzulegen. Mit Schreiben vom 23.04.2014 erstattete der jetzige Prozessbevollmächtigte der Beklagten bei der zuständigen Agentur für Arbeit eine Massenentlassungsanzeige, die auszugsweise folgenden Wortlaut hat:
"Unsere Mandantin unterhält [...] einen Gewerbebetrieb, der Aluminiumfenster und -türen und Fassadenbau ausführt. Der Gewerbebetrieb besteht seit über 40 Jahren und derzeit sind dort insgesamt 62 Arbeitnehmer beschäftigt, die sich in 61 Arbeitnehmern und einem Auszubildenden aufgliedern. Wir überreichen als Anlage eine Liste der Mitarbeiter, aus der Name, Anschrift und Betriebszugehörigkeit hervorgehen. Außerdem ist das letzte gezahlte Nettogehalt aufgeführt. Ein Betriebsrat besteht nicht.
Seit Jahren erwirtschaftet der Betrieb keine Gewinne mehr. Die Auftragslage hat sich drastisch verschlechtert, was bedeutet, dass meine Mandantin dieses Jahr noch keinen neuen Auftrag erhalten hat. Zur Zeit werden lediglich die Altaufträge aus den vergangenen Jahren abgearbeitet sowie Garantiefälle. Eine Besserung ist nicht in Sicht. Der alleinige Geschäftsführer [...] ist am 07.05.1942 geboren. Er hat schon seit Jahren versucht - da er keinen Nachfolger hat - den Betrieb zu veräussern, was ebenfalls an den betrieblichen Bilanzen scheiterte.
Um ein drohendes Insolvenzverfahren abzuwenden, hat sich die Geschäftsleitung entschlossen, den Geschäftsbetrieb zum 30.04.2014 einzustellen bzw. die Betriebsstilllegung vorzunehmen. Das operative Geschäft wird zu diesem Zeitpunkt beendet. Danach werden lediglich die alten Aufträge noch abgearbeitet und die oben erwähnten Garantiefälle. Folge ist, dass sämtliche Mitarbeiter gekündigt werden müssen, da der Arbeitsplatz wegfällt. Die Kündigungsfrist beträgt zwischen 1 und 7 Monaten, wie Sie aus anliegender Arbeitnehmerliste entnehmen können.
Da somit der Arbeitsplatz zum 30.04.2014 wegfällt, sollen die Arbeitnehmer einschliesslich des Lehrlings unter Berücksichtigung der ordentlichen Kündigungsfristen gekündigt werden. Wir bitten insoweit um Genehmigung."
Am 25.04.2014 informierte der Geschäftsführer die Belegschaft über die geplante Betriebsstilllegung und die damit verbundenen Kündigungen. Auf ihrer Internetseite veröffentlichte die Beklagte folgenden Text:
"Liebe Kunden, leider hat unser Betrieb seit Jahren keine betrieblichen Gewinne mehr erwirtschaftet. ... Eine Besserung der wirtschaftlichen Situation ist nicht in Sicht ...
Aus diesem Grund hat sich die Betriebsleitung entschlossen, den Betrieb zum 30.04.2014, auch aus altersbedingten Gründen [...] zu schließen, was bedeutet, dass zu diesem Zeitpunkt das operative Geschäft aufgegeben wird. Danach werden lediglich noch die Altverträge und die Garantiefälle abgearbeitet. ..."
Mit Schreiben vom 28.04.2014 kündigte die Beklagte sämtlichen Arbeitnehmern wegen beabsichtigter Betriebsstilllegung. Dem Kläger kündigte sie ordentlich zum 30.11.2014. Das Kündigungsschreiben ging ihm noch im April 2014 zu. Gegen die Kündigung erhob der Kläger am 12.05.2014 die vorliegende Klage. Er ist der Ansicht, die Kündigung sei sozial nicht gerechtfertigt. Außerdem fehle es an einer ordnungsgemäßen Massenentlassungsanzeige.
Der Kläger hat erstinstanzlich zuletzt beantragt,
- festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die Kündigung vom 28.04.2014 beendet worden ist,
- die Beklagte zu verurteilen, ihn als Montagehelfer über den 30.11.2014 hinaus weiter zu beschäftigen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Von einer weitergehenden Darstellung des unstreitigen Tatbestandes und des erstinstanzlichen Parteivorbringens wird gem. § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen und auf den Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils vom 03.12.2015 Bezug genommen. Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Wegen der Begründung des Arbeitsgerichts wird auf die Entscheidungsgründe seines ...