Entscheidungsstichwort (Thema)

Betriebsbedingte Kündigung bei Betriebsstillegung. Unbegründete Kündigungsschutzklage eines Produktionsmitarbeiters bei unerheblichen Einwendungen gegen die Ernsthaftigkeit des Stilllegungsplans und Vollständigkeit der Massenentlassungsanzeige

 

Leitsatz (redaktionell)

1. In der Regel liegt ein starkes Indiz für einen ernstlichen und endgültigen Stilllegungsplan vor, wenn die Arbeitgeberin den Stilllegungsbeschluss gegenüber Lieferanten, Kunden, Banken und anderen Beteiligten bekannt gibt; eine Arbeitgeberin, die eine Betriebsfortführung oder Veräußerung ernsthaft ins Auge fasst, wird in der Regel die Geschäftsbeziehungen zu Lieferanten, Kunden, Banken nicht durch die Bekanntgabe einer Stilllegungsentscheidung gefährden.

2. Einer ernsthaften Stilllegungsabsicht steht nicht entgegen, dass die Arbeitgeberin die gekündigten Arbeitnehmer über den datumsmäßig bestimmten Stilllegungstermin hinaus in ihrer jeweiligen Kündigungsfrist noch einsetzt, um vorhandene Aufträge oder Garantiefälle abzuarbeiten; die Arbeitgeberin erfüllt damit gegenüber den tatsächlich eingesetzten Beschäftigten lediglich ihre auch im bereits gekündigten Arbeitsverhältnis bestehende Beschäftigungspflicht.

3. Auch eine Annahme neuer Aufträge nach Ausspruch der Kündigung spricht nicht gegen eine Stilllegungsabsicht, da es für die Stilllegungsabsicht erforderlich und ausreichend ist, dass bis zum Ende der Kündigungsfristen keine Tätigkeiten mehr ausgeführt werden; nicht erforderlich ist, dass die Arbeitgeberin bis dahin unwirtschaftlich arbeitet oder es unterlässt, mögliche Geschäfte zu tätigen.

4. Nach § 17 Abs. 3 Satz 4 KSchG muss die Massenentlassungsanzeige Angaben über den Namen der Arbeitgeberin, den Sitz und die Art des Betriebes enthalten, ferner die Gründe für die geplanten Entlassungen, die Zahl und die Berufsgruppen der zu entlassenden und der in der Regel beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, den Zeitraum, in dem die Entlassungen vorgenommen werden sollen und die vorgesehenen Kriterien für die Auswahl der zu entlassenden Beschäftigten; Fehler bei den "Muss-Angaben" nach § 17 Abs. 3 Satz 4 KSchG führen zur Unwirksamkeit der Massenentlassungsanzeige und damit zur Unwirksamkeit der Kündigung, es sei denn, dass die Fehler den gekündigten Arbeitnehmer nicht betreffen und keine Auswirkungen auf die sachliche Prüfung der Arbeitsagentur haben können.

5. Die juristisch eher unscharfe Formulierung "... teile ich Ihnen mit, dass die Kündigungen für sämtliche Mitarbeiter und auch den Auszubildenden zum 30.04.2014 ausgesprochen werden" ist unter Berücksichtigung aller erkennbaren Umstände ohne weiteres dahin zu verstehen, dass die Arbeitgeberin die ordentlichen Kündigungen noch im April 2014 aussprechen und zustellen will; für einen verständigen Sachbearbeiter der Agentur für Arbeit ist daraus nach den Maßstäben des § 133 BGB hinreichend klar zu entnehmen, dass die Arbeitgeberin ihren Beschäftigten noch im April 2014 unter Einhaltung der jeweiligen Kündigungsfristen (von bis zu sieben Monaten) kündigen will.

 

Normenkette

KSchG § 1 Abs. 2, §§ 17, 1 Abs. 2 S. 1 Alt. 3, § 17 Abs. 3 S. 4; BGB § 133

 

Verfahrensgang

ArbG Koblenz (Entscheidung vom 15.01.2015; Aktenzeichen 5 Ca 1759/14)

 

Tenor

  1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 15. Januar 2015, Az. 5 Ca 1759/14, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
  2. Die Revision wird nicht zugelassen.
 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung.

Der 1953 geborene, verheiratete Kläger war seit September 1996 bei der Beklagten als Produktionsmitarbeiter zu einem Bruttomonatslohn von ca. € 1.900,00 beschäftigt. Die Beklagte befasste sich mit Herstellung und Montage von Fenstern, Türen und Fassaden aus Aluminium. Sie beschäftigte Ende April 2014 61 Arbeitnehmer; ein Betriebsrat bestand nicht. Der Alleingesellschafter und Geschäftsführer der Beklagten fasste am 22.04.2014, den - vom Kläger bestrittenen - Beschluss, den Betrieb stillzulegen. Mit Schreiben vom 23.04.2014 erstattete der Bevollmächtigte der Beklagten bei der zuständigen Agentur für Arbeit eine Massenentlassungsanzeige, die auszugsweise folgenden Wortlaut hat:

"Unsere Mandantin unterhält [...] einen Gewerbebetrieb, der Aluminiumfenster und -türen und Fassadenbau ausführt. Der Gewerbebetrieb besteht seit über 40 Jahren und derzeit sind dort insgesamt 62 Arbeitnehmer beschäftigt, die sich in 61 Arbeitnehmern und einem Auszubildenden aufgliedern. Wir überreichen als Anlage eine Liste der Mitarbeiter, aus der Name, Anschrift und Betriebszugehörigkeit hervorgehen. Außerdem ist das letzte gezahlte Nettogehalt aufgeführt. Ein Betriebsrat besteht nicht.

Seit Jahren erwirtschaftet der Betrieb keine Gewinne mehr. Die Auftragslage hat sich drastisch verschlechtert, was bedeutet, dass meine Mandantin dieses Jahr noch keinen neuen Auftrag erhalten hat. Zur Zeit werden lediglich die Altaufträge aus den vergangenen Jahren abgearbeitet sowie Garantiefälle. Eine Besser...

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