Entscheidungsstichwort (Thema)
Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung des Beschäftigungsverhältnisses eines Kraftfahrers wegen des Verdachts der Entwendung von Dieselkraftstoff
Leitsatz (redaktionell)
1. Die außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines Kraftfahrers setzt zumindest voraus, dass der dringende Verdacht besteht, dass dieser aus dem ihm überlassenen Fahrzeug Dieselkraftstoff entwendet hat.
2. Der dringende Verdacht der Entwendung kann nicht allein darauf gestützt werden, dass während Standzeiten am Wohnort des Arbeitnehmers wiederholt Kraftstoff aus dem nicht verschlossenen Tank entnommen worden ist.
Normenkette
BGB § 241 Abs. 2, § 280 Abs. 1, §§ 293, 296, 615 S. 1, §§ 619a, 626 Abs. 1; KSchG § 11 Nrn. 2-3; BGB § 826 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Koblenz (Entscheidung vom 11.06.2019; Aktenzeichen 11 Ca 68/19) |
Tenor
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung, um Ansprüche des Klägers auf Annahmeverzugslohn sowie Spesen und über einen von der Beklagten geltend gemachten Schadensersatzanspruch wegen der Entwendung von Dieselkraftstoff.
Die Beklagte betreibt eine Spedition mit einer Flotte von ca. 115 Fahrzeugen.
Der 1977 geborene Kläger war seit dem 15. August 2011 bei der Beklagten aufgrund Arbeitsvertrags vom 08. August 2011 (Bl. 11 - 18 d. A.) als LKW-Fahrer beschäftigt. Gemäß den Lohnabrechnungen für die Monate September, Oktober und November 2018 (Bl. 20 bis 22 d. A.) erhielt der Kläger zuletzt einen Bruttomonatslohn in Höhe von 2.675,00 EUR zuzüglich vermögenswirksamer Leistungen in Höhe von 13,30 EUR, eine "Fleetboardprämie" in Höhe von 50,00 EUR brutto, eine Zusatzzahlung in Höhe von 200,00 EUR brutto und Spesen in monatlich wechselnder Höhe.
Unter dem 28. März 2014 erteilte die Beklagte dem Kläger eine schriftliche Abmahnung wegen Diebstahls (Bl. 117 d. A.).
Die LKW der Beklagten sind mit einem sog. Fleetboard ausgestattet, das gestützt auf ein GPS-Signal Fahrdaten abrufbar speichert (u.a. Start und Ende der Fahrten sowie Standzeiten jeweils mit Angabe der Position des Fahrzeugs, Fahrstrecke und Kilometerstand) und dabei auch Angaben zu dem jeweils erfassten Tankinhalt ausweist. Die durch das Fleetboard erfassten Daten werden per Mobilfunk an die Beklagte übertragen und dort computertechnisch erfasst und gespeichert. Anhand der eingelegten Fahrerkarte wird der erfasste Datensatz dem Fahrzeugführer zugeordnet.
In dem vom Kläger gefahrenen LKW, dessen Tank ein Fassungsvermögen von 660 Liter hat, wurde der Tankfüllstand für den Fahrer mittels einer (analogen) Tanknadel angezeigt. Der Kläger betankte den von ihm geführten LKW selbst und bezahlte den Kraftstoff mit der ihm von der Beklagten zur Verfügung gestellten Tankkarte unmittelbar zu deren Lasten.
In den zurückliegenden Jahren kam es wiederholt zu unbefugten Kraftstoffentnahmen. Wenn ein Fahrer entsprechende Meldung erstattet hatte, wurde seitens der Beklagten in einigen Fällen im Zeitraum 2013 bis 2016 Anzeige erstattet bzw. die jeweilige ausländische Behörde informiert. Die strafrechtlichen Ermittlungen wurden eingestellt mangels hinreichenden Tatverdachts. Die Tankdeckel der LKW der Beklagten waren ursprünglich abschließbar. Die abschließbaren Tankdeckel wurden von Seiten der Beklagten durch nicht verschließbare Tankdeckel ersetzt, da der Aufbruch eines Tankdeckels zur unbefugten Entnahme von Kraftstoff Reparaturkosten verursachte, die den Wert des entnommenen Kraftstoffs erheblich überstiegen.
Der Kläger parkte den LKW regelmäßig in der Nähe seines Wohnhauses (A-Straße, A-Stadt). Von dort trat er die jeweilige Folgefahrt an. Die entsprechenden Standzeiten wurden durch das Fleetboard-System erfasst. Während dieser und weiterer, nicht am Wohnort des Klägers erfasster Standzeiten ergaben sich bei Auswertung der durch das Fleetboard-System erfassten Tankfüllstände im Zeitraum vom 19. Januar bis 26. November 2018 jeweils bei Abgleich des Füllstands zwischen Beginn und Ende der jeweiligen Standzeit Abweichungen in insgesamt 26 Fällen, darunter 22 am Wohnsitz des Klägers und vier an anderen Standorten; wegen der Einzelheiten der aufgezeichneten Daten wird auf das von der Beklagten vorgelegte Fleetboard-Protokoll für den betreffenden Zeitraum mit einem Differenzvolumen von insgesamt 2.059,20 Liter verwiesen (Anlage B 1 zum Schriftsatz der Beklagten vom 21. März 2019 = Bl. 74 bis 76 d. A.).
Mit Schreiben vom 21. Dezember 2018 (Bl. 23 d. A.), dem Kläger am gleichen Tag zugegangen, kündigte die Beklagte das mit dem Kläger bestehende Arbeitsverhältnis fristlos zum 21. Dezember 2018, ersatzweise zum nächstmöglichen Termin. Hiergegen hat sich der Kläger mit seiner am 08. Januar 2019 beim Arbeitsgericht Koblenz eingegangenen Kündigungsschutzklage gewandt. Klageerweiternd hat er restliche Vergütung ...