Entscheidungsstichwort (Thema)
Beleidigung. Kündigung, verhaltensbedingte. Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Verhaltensbedingte Kündigung wegen Beleidigung des Vorgesetzten
Leitsatz (redaktionell)
Trotz Beleidigung des Vorgesetzten mit den Worten „Du kannst mich mal am Arsch lecken” kann eine verhaltensbedingte Kündigung im Einzelfall unverhältnismäßig sein.
Normenkette
KSchG § 1
Verfahrensgang
ArbG Mainz (Urteil vom 27.01.2010; Aktenzeichen 1 Ca 1848/09) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz vom 27.01.2010 – 1 Ca 1848/08 – wird zurückgewiesen.
Im Übrigen wird die Beklagte verurteilt, dem Kläger ein qualifiziertes Endzeugnis zu erteilen.
Die Kosten des Verfahrens werden der Beklagten auferlegt.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Beendigung des Arbeitsverhältnisses augrund einer fristlosen, hilfsweise fristgemäß ausgesprochenen arbeitgeberseitigen Kündigung vom 05.08.2009 (Bl. 20 d. A.), die auf verhaltensbedingte Gründe, insbesondere die Beleidigung eines Vorgesetzten durch den Kläger gestützt wird, sowie um die Erteilung eines Zwischenzeugnisses, zweitinstanzlich eines Endzeugnisses.
Die Beklagte betreibt ein IT-Unternehmen und beschäftigt mehr als 10 Arbeitnehmer ausschließlich der Auszubildenden. Ein Betriebsrat ist nicht gebildet.
Der am 30.08.1975 geborene Kläger (Steuerklasse III, Kinderfreibetrag 1,0) ist seit dem 15.03.2007 als Netzwerktechniker in Vollzeit zu einem Bruttomonatsentgelt in Höhe von 2.000,00 EUR bei der Beklagten tätig.
Der Kläger arbeitet im Einsatz beim Kunden, zuletzt bei der U. H. (U.) in F. in einem Dreier-Team. Dazu gehört auch der dem Kläger vorgesetzte Teamleiter R..
Die Beklagte stützt die am 05.08.2009 ausgesprochene Kündigung auf einen Vorfall vom 30.06.2009. Der Kläger war vom Teamleiter R. aufgefordert worden, ihm einen Stundennachweis täglich vorzulegen und reagierte mit der Äußerung: „Du kannst mich mal am Arsch lecken”. Der Vorfall ist im Zusammenhang und in den weiteren Einzelheiten streitig.
Am 01.07.2009 fand ein Mitarbeitergespräch zwischen dem Kläger und dem Vorstand der Beklagten Herrn L. in Anwesenheit einer weiteren Mitarbeiterin der Beklagten statt, das die Äußerung des Klägers zum Gegenstand hatte.
Am 05.08.2009 sprach die Beklagte eine außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung zum nächst zulässigen Zeitpunkt aus.
Von einer wiederholenden Darstellung des erstinstanzlichen Sach-/Streitstandes wird im Übrigen gemäß § 69 Abs 2 ArbGG abgesehen. Auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Mainz vom 27.01.2010 (Bl. 93 ff. d. A.) wird Bezug genommen.
Der Kläger hat erstinstanzlich zuletzt beantragt,
festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die fristlose Arbeitgeberkündigung vom 05.08.2009 aufgelöst wurde;
festzustellen, dass das Arbeitverhältnis der Parteien auch nicht durch die hilfsweise erklärte ordentliche Arbeitgeberkündigung vom 05.08.2009 aufgelöst worden ist;
die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger ein qualifiziertes Zwischenzeugnis zu erteilen.
hilfsweise für den Fall des Unterliegens mit den Klageanträgen zu 1 und 2:
die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger ein qualifiziertes Endzeugnis zu erteilen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage insgesamt abzuweisen
Durch das Urteil vom 27.01.2010 hat das Arbeitsgericht Mainz festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die fristlose hilfsweise ordentlich erklärte Kündigung vom 05.08.2009 aufgelöst worden ist. Zur Begründung hat das Arbeitsgericht zusammengefasst ausgeführt:
Die außerordentliche Kündigung sei bereits wegen Nichteinhaltung der 2-Wochenfrist nach § 626 Abs. 2 BGB unwirksam. Nachdem unstreitig bereits kurz nach dem 30.06.2009 wegen der Äußerung, auf die die Beklagte die streitgegenständliche Kündigung maßgeblich stütze, ein Personalgespräch im Beisein des Vorstandsmitglieds L. stattgefunden habe, sei die Frist bei Zugang der Kündigung am 05.08.2009 längst verstrichen gewesen. Allein der innerhalb der Frist des § 626 Abs. 2 BGB liegende vorgetragene Umstand, dass sich ein Kunde über das Verhalten des Klägers beschwert hätte, dessen Vortrag bereits durchgreifenden Bedenken bezüglich Substantiierung nach Ort, Zeit und Inhalt begegne und für den kein Beweisantritt erfolgt sei, würde die streitgegenständliche außerordentliche Kündigung nach Überzeugung der Kammer nicht rechtfertigen. Weitergehende Folgen, etwa die Androhung von Konsequenzen durch den Kunden behaupte die Beklagte selbst nicht.
Aber auch die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung sei sozial ungerechtfertigt. Grundsätzlich könne zwar auch die Beleidigung eines Vorgesetzten oder Arbeitskollegen kündigungsrelevant sein, sofern damit eine erhebliche Ehrverletzung verbunden sei. Dabei komme es nicht auf die strafrechtliche Wertung sondern darauf an, ob dem Arbeitgeber deswegen nach dem gesamten Sachverhalt die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses noch zuzumuten sei. Bei der unstreitigen Äußerung des Kläger sei zu berücksichti...