Entscheidungsstichwort (Thema)

Dreistufiges Prüfungsschema bei der sozialen Rechtfertigung einer krankheitsbedingten Kündigung. Häufige Kurzerkrankungen mit Indizwirkung für künftige Wiederholungsgefahr. Darlegungs- und Beweislast für eine negative Gesundheitsprognose im Kündigungsschutzprozess

 

Leitsatz (amtlich)

1. Bei häufigen (Kurz-) Erkrankungen ist, damit sie eine Kündigung sozial rechtfertigen können, im Rahmen der dreistufigen Prüfung unter anderem zunächst eine negative Gesundheitsprognose erforderlich. Es müssen im Kündigungszeitpunkt objektive Tatsachen vorliegen, die die Besorgnis weiterer Erkrankungen im bisherigen Umfang befürchten lassen.(Rn.34)

2. Treten während der letzten Jahre jährlich mehrere (Kurz-)Erkrankungen auf, spricht dies für eine entsprechende künftige Entwicklung des Krankheitsbildes, es sei denn es besteht keine Wiederholungsgefahr. Der Arbeitgeber darf sich deshalb auf der ersten Prüfungsstufe zunächst darauf beschränken, die Fehlzeiten der Vergangenheit darzustellen und zu behaupten, in Zukunft seien Krankheitszeiten in entsprechendem Umfang zu erwarten. Alsdann ist es Sache des Arbeitnehmers die Indizwirkung zu erschüttern und gemäß § 138 Abs. 2 ZPO darzulegen, weshalb im Kündigungszeitpunkt mit einer hinreichenden Reduzierung der Fehlzeiten zu rechnen ist.(Rn.35)

3. Je nach Erheblichkeit des Vortrags ist es dann Sache des Arbeitgebers, den Beweis für die Berechtigung einer negativen Gesundheitsprognose zu führen. Der Arbeitnehmer muss über die Erschütterung der Indizwirkung hinaus nicht den Gegenbeweis führen, dass mit weiteren künftigen Erkrankungen nicht zu rechnen ist.(Rn.44)

 

Normenkette

KSchG § 1 Abs. 2, 2 S. 4; ZPO § 138 Abs. 2

 

Verfahrensgang

ArbG Mainz (Entscheidung vom 16.02.2017; Aktenzeichen 9 Ca 596/15)

 

Tenor

  • I.

    Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz vom 16.02.2017, Az.: 9 Ca 596/15, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

  • II.

    Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer arbeitgeberseitigen ordentlichen krankheitsbedingten Kündigung.

Der 1978 geborene Kläger (verheiratet, drei Kinder) ist seit 29.11.1999 bei der Beklagten, die mehr als 10 Arbeitnehmer beschäftigt, in der Produktion als Monteur von Reise-/Wohnmobilen tätig. Er erhält eine Bruttomonatsvergütung in Höhe von 2.300,00 EUR.

Der Kläger fehlte seit dem Jahr 2009 in Folge von krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit wie folgt:

2009

2010

2011

2012

26.01. - 20.02.

12.04. - 16.04.

27.01. - 25.02.

15.02. - 17.02.

15.07. - 31.07.

19.07. - 30.07.

02.05. - 27.05.

19.03. - 05.04.

26.10. - 11.11.

30.08. - 10.09.

12.09. - 26.09.

30.07. - 03.08.

15.11. - 26.11.

08.10. - 12.10.

27.11. - 07.12.

2013

2014

2015

04.02. - 21.02.

01.01. - 17.01. *

30.01. - 06.02.

13.05. - 15.05.

13.05. - 16.05.

10.03. - 13.03.

10.06. - 14.06.

23.06. - 27.06.

01.07. - 26.07.

01.07. - 16.07.

21.10. - 07.11.

18.07. - 08.08.

29.11. - 06.12.

03.11. - 14.11.

11.12. - 31.12.

(* davon 4 Tage ohne Lohnfortzahlung)

Wegen der den Fehlzeiten zugrunde liegenden Diagnosen wird die vom Kläger mit Schriftsatz vom 04.11.2015 als Anlage 1 zur Akte gereichte Übersicht der X. Krankenkasse (Bl. 89 ff. d. A.) Bezug genommen. Im Dezember 2013 wurde am linken Fuß ein Morton-Neurom operativ entfernt. Im Sommer 2014 (14.07-08.08.) wurden dem Kläger sodann stationär Gallensteine entfernt.

Zwischen den Parteien im Beisein eines Mitglieds des Betriebsrats fanden am 07.01.2014, 11.09.2014 sowie am 26.11.2014 betriebliche Eingliederungsmanagementgespräche statt.

Mit Schreiben vom 16.03.2015 (Bl. 39 ff. d.A.) hörte die Beklagte den Betriebsrat schließlich zur beabsichtigten Kündigung des Klägers an, der dem widersprach. Die Beklagte kündigte mit Schreiben vom 19.03.2015 das Arbeitsverhältnis der Parteien ordentlich zum 30.09.2015.

Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner am 07.04.2015 beim Arbeitsgericht eingegangenen und der Beklagten am 15.04.2015 zugestellten Kündigungsschutzklage. Die Parteien vereinbarten eine Prozessbeschäftigung.

Der Kläger hat erstinstanzlich vorgetragen,

er habe an einer Fußerkrankung gelitten. Durch eine Operation im Krankenhaus St. M. sei diese behoben. Mit weiteren Fehlzeiten aufgrund der Fußerkrankung sei nicht mehr zu rechnen. Nach der Entfernung der Gallensteine im Sommer 2014 sei er schmerzfrei. Durch die Fußerkrankung habe sich auch ein Rückenproblem eingestellt. Dies sei verursacht worden durch die Fehlhaltung des geschädigten Fußes. Nachdem das Fußproblem operativ beseitigt worden sei, habe sich auch eine Besserung des Rückenleidens eingestellt.

Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die ordentliche Kündigung vom 19.03.2015 nicht zum 30.09.2015 endet.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat vorgetragen,

die Fehlzeiten seit 2009 ließen auf eine schlechte gesundheitliche Entwicklung in der Zukunft schließen. Die eindeutigen Anzeichen für eine auffällige Krankheitsanfälligkeit und ...

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