Entscheidungsstichwort (Thema)

Erweiterung von Mitbestimmungsrechten durch Tarifvertrag. Sexuelle Belästigung. Außerordentliche Kündigung

 

Leitsatz (redaktionell)

Bei der Auslegung eines Haustarifvertrags ist trotz der Verwendung des Begriffs der „Mitbestimmung” nicht davon auszugehen, dass außerordentliche Kündigungen der Zustimmung des Betriebsrats bedürfen.

 

Normenkette

BGB § 626

 

Verfahrensgang

ArbG Koblenz (Urteil vom 20.02.2003; Aktenzeichen 7 Ca 2824/02 NR)

 

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz – Auswärtige Kammern Neuwied – vom 20.02.2003 – 7 Ca 2824/02 – hinsichtlich der Ziffern 1 und 3 aufgehoben, abgeändert und neu gefasst:

  1. Die Klage wird insgesamt abgewiesen.
  2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

II. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Im vorliegenden Berufungsverfahren streiten die Parteien um die Rechtswirksamkeit einer außerordentlichen/ordentlichen Kündigung des zwischen ihnen bestehenden Arbeitsverhältnisses.

Der Kläger ist seit dem 01.04.1978 als Kopfcroupier, seit 01.04.1980 als Croupier bei der Beklagten beschäftigt. Er hat zuletzt monatlich durchschnittlich 4.015,17 EUR brutto verdient. Wegen der Einzelheiten des Arbeitsvertrages wird auf Blatt 5 ff. der Akte verwiesen.

Unter dem Datum des 27.08.2002 hat die Beklagte das Arbeitsverhältnis des Klägers fristlos, hilfsweise ordentlich zum 31.03.2003 wegen sexueller Belästigung der Kollegin X. am 14.08.2002 (Bl. 27 d. A.) gekündigt. Der Betriebsrat hat der Kündigung nicht zugestimmt. Für den Betrieb der Beklagten gilt ein Hausmanteltarifvertrag, hinsichtlich dessen Inhalts insgesamt auf Blatt 97 ff. der Akte Bezug genommen wird, und dessen § 2 Ziffer 1 lautet:

„Alle personellen und sozialen Entscheidungen, insbesondere Einstellungen, Eingruppierungen, Umstufungen und Entlassungen unterliegen der Mitbestimmung des Betriebsrates.”

Der Kläger hat vorgetragen,

tatsächlich habe er seine Kollegin X. am 14.08.2002 nicht sexuell belästigt, insbesondere habe er ihr nicht an die Brust gefasst. Überdies sei gerade die Kollegin X. eine Kollegin, die im Rahmen von Zusammenkünften mit diversen männlichen Kollegen in sexueller Hinsicht recht freizügige Äußerungen von sich gebe. Schließlich sei die Kündigung aber allein deswegen unwirksam, weil ihr der Betriebsrat nicht zugestimmt habe. So seien in der Vergangenheit keinerlei Kündigungen ohne vorherige Zustimmung des Betriebsrates erfolgt. In der letzten Tarifrunde habe die Beklagte ihre zentrale Forderung der Begrenzung der Mitbestimmung auf den Umfang der betriebsverfassungsrechtlichen Regelung letztlich aufgegeben.

Der Kläger hat beantragt,

soweit für das Berufungsverfahren von Belang,

    1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die außerordentliche Kündigung vom 27.08.2002, zugegangen am 27.08.2002, nicht aufgelöst worden ist,
    2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis durch die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung vom 27.08.2002, zugegangen am 27.08.2002, nicht aufgelöst worden ist,
  1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis auch nicht durch andere Beendigungstatbestände endet, sondern zu unveränderten Bedingungen über den 27.08.2002 hinaus fortbesteht.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat vorgetragen,

ein Verstoß gegen ein erweitertes Mitbestimmungsrecht gemäß § 102 Abs. 6 BetrVG führe nur dann zur Rechtsunwirksamkeit einer Kündigung, wenn eine dem § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG entsprechende Sanktion bei Verstoß gegen eine solche Beratungspflicht in der betreffenden Betriebsvereinbarung geregelt sei. Dies sei vorliegend nicht der Fall. Deswegen verbleibe es bei der Anhörungspflicht im Rahmen des § 102 BetrVG. Dieser sei hier genügt. Überdies habe der Kläger völlig unmotiviert seiner Kollegin X. am 14.08.2002 an den Busen gefasst. Soweit er Behauptungen hinsichtlich der verbalen Umgangsformen der Zeugin aufstelle, vertiefe er letztlich noch seine Verletzungshandlung und lenke von seinem eigenen Fehlverhalten ab. Überdies sei er in der Vergangenheit einschlägig wegen rüder Verhaltensweisen gegenüber Kollegen und Kunden abgemahnt worden.

Das Arbeitsgericht Koblenz – Auswärtige Kammern Neuwied – hat daraufhin durch Urteil vom 20.02.2003 – 7 Ca 2824/02, soweit für das Berufungsverfahren von belang, festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 27.08.2002 weder als außerordentlich noch als ordentlich aufgelöst worden ist. Hinsichtlich des Inhalts von Tatbestand und Entscheidungsgründen wird auf Blatt 127 bis 133 der Akte Bezug genommen.

Gegen das ihr am 19.03.2003 zugestellte Urteil hat die Beklagte durch am 10.04.2003 beim Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt. Sie hat die Berufung durch am 05.06.2003 beim Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz eingegangenem Schriftsatz begründet, nachdem zuvor auf ihren begründeten Antrag hin durch Beschluss vom 13.05.2...

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