Entscheidungsstichwort (Thema)
Anfechtung eines Aufhebungsvertrags wegen widerrechtlicher Drohung. Verständige fristlose Kündigung wegen Diebstahl. Gebot des fairen Verhandelns bei Nichteinräumung einer Überlegungsfrist
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Drohung mit einer fristlosen Kündigung und der Erstattung einer Strafanzeige ist bei einem mutmaßlichen Diebstahl nicht widerrechtlich. Ob die Kündigung am Ende tatsächlich gerichtlich bestätigt wird, ist nicht entscheidend.
2. Die Drohung im Sinne des § 123 Abs. 1 Alt. 2 BGB muss nicht expressis verbis erfolgen, sondern kann sich auch konkludent aus einem Hinweis auf negative Folgen für den Arbeitnehmer ergeben.
3. Das Gebot des fairen Verhandelns nach § 241 Abs. 2 BGB ist bei Nichteinräumung einer Überlegungsfrist nicht verletzt. Es gebietet auch nicht die Herausgabe von Vernehmungsprotokollen von Zeugen bei der Konfrontation des Arbeitnehmers mit Diebstahlsvorwürfen.
Normenkette
BGB § 119 Abs. 1, § 123 Abs. 1, § 241 Abs. 2; ZPO § 256 Abs. 1; ArbGG § 69 Abs. 2; ZPO § 97 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Mainz (Entscheidung vom 25.03.2021; Aktenzeichen 7 Ca 775/20) |
Tenor
- Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz - Auswärtige Kammern Bad Kreuznach - vom 25. März 2021, Az. 7 Ca 775/20, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
- Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit eines Aufhebungsvertrags.
Die Beklagte betreibt ein Handelsunternehmen für Spielwaren mit einer Vielzahl von Filialen. Der 1968 geborene, verheiratete Kläger war seit September 1999 in der Zentrale der Beklagten zu einem Bruttomonatsverdienst von zuletzt € 3.126,00 als Monteur beschäftigt. Die Beklagte beschäftigt in ihrer Zentrale ca. 400 Arbeitnehmer.
Am 20. Oktober 2020 führte der unmittelbare Vorgesetzte mit dem Kläger um 7:00 Uhr ein Gespräch. Er teilte ihm mit, dass am 17. Oktober 2020 aus dem Regal "defekte Retouren" Ware entwendet worden sei; zwei Mitarbeiter hätten ihn an dem Regal gesehen. Weil sich der Kläger aus Sicht des Vorgesetzten nicht überzeugend entlasten konnte, lud ihn der Geschäftsführer der Beklagten am selben Tag zu einem Anhörungsgespräch um 9:00 Uhr ein. Dem Kläger wurde eröffnet, dass gegen ihn der dringende Verdacht bestehe, am 17. Oktober 2020 aus der Retouren-Abteilung drei Mehrzwecktaschenmesser zu einem Verkaufspreis von je € 9,99 und drei Zubehörsets (mit Kompass, Fernglas, Taschenlampe) zu einem Verkaufspreis von je € 19,99 gestohlen zu haben. Der Kläger bestritt den Vorwurf. Ob der Geschäftsführer dem Kläger mit einer Strafanzeige und einer fristlosen Kündigung drohte, ist streitig. Im Anschluss an das Gespräch unterzeichnete der Kläger am 20. Oktober 2020 einen schriftlichen Aufhebungsvertrag. Die Parteien vereinbarten eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses im gegenseitigen Einvernehmen zum 31. Dezember 2020. Ferner regelten sie eine unwiderrufliche Freistellung des Klägers (unter Abgeltung von Resturlaub und Überstunden) bis zum Beendigungszeitpunkt. Bereits mit Telefax vom 20. Oktober 2020 erhob der Kläger vor dem Arbeitsgericht eine Klage wegen Kündigungsschutz. Mit Anwaltsschreiben vom 21. Oktober 2020 focht er den Aufhebungsvertrag an. Das Schreiben lautet auszugsweise:
"Der Mandant wurde von Mitarbeitern Ihres Hauses am 20.10.2020 bezichtigt einen Diebstahl in Ihrem Unternehmen begangen zu haben.
Aufgrund massiver Drohung und Nötigung hat der Mandant auf Veranlassung des [Geschäftsführers] eine Aufhebungsvereinbarung unterzeichnet, mit der das bestehende Arbeitsverhältnis im beiderseitigen Einvernehmen zum 31.12.2020 beendet wurde.
Bei sachgemäßer Abwägung gab es für den Mandanten keine Veranlassung diese Vereinbarung zu unterzeichnen und die erfolgte Willenserklärung abzugeben.
Die Unterzeichnung erfolgte nur unter Ausübung physischen Zwangs, nach erfolgter Nötigung und Bedrohung durch den [Geschäftsführer].
Der Mandant war sich der Tragweite der abgegebenen Willenserklärung, unter Berücksichtigung des Beschäftigungsverhältnisses von 21 Jahren und den daraus resultierenden Rechten, nicht bewusst. Bei gehöriger Kenntnis der Sachlage und bei verständiger Würdigung sämtlicher Umstände hätte der Mandant diese Erklärung nicht abgegeben.
Namens und in Vollmacht des Mandanten erkläre ich deshalb die Anfechtung der abgegebenen Willenserklärung und des mit dem Mandanten am 20.10.2020 geschlossen Aufhebungsvertrags gem. §§ 119,123 BGB.
Ich habe im Auftrag des Mandanten, im Hinblick auf die Unwirksamkeit des geschlossenen Aufhebungsvertrags, Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht eingereicht."
Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,
festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht mit Aufhebungsvereinbarung vom 20. Oktober 2020 beendet wurde und über den Beendigungszeitpunkt 31. Dezember 2020 hinaus zu unveränderten Bedingungen fortbesteht.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Von einer weitergehenden Darstellung des unstreitigen Tatbestandes und des erstinstanzlichen Par...