Entscheidungsstichwort (Thema)

Drohung i.S.d. § 123 Abs. 1 BGB. Drohung mit einer außerordentlichen Kündigung. Keine widerrechtliche Drohung bei Kündigungsankündigung wegen Täuschung des Arbeitgebers. Vorlage eines falschen COVID-19-Impfzertifikats als wichtiger Grund i.S.d. § 626 Abs. 1 BGB. Das Gebot fairen Verhandelns im Arbeitsrecht

 

Leitsatz (amtlich)

Die Drohung mit einer außerordentlichen Kündigung ist nicht widerrechtlich, wenn der dringende Verdacht besteht, der Arbeitnehmer habe der Dienststelle ein falsches digitales COVID-19-Impfzertifikat vorgelegt, um sich entweder unbefugten Zutritt zum Arbeitsplatz zu verschaffen oder eine tarifliche Impfprämie zu erschleichen.

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Eine Drohung i.S.d. § 123 Abs. 1 Alt. 2 BGB setzt die Ankündigung eines zukünftigen Übels voraus, dessen Zufügung in irgendeiner Weise als von der Macht des Ankündigenden abhängig dargestellt wird. Der Bedrohte muss einer Zwangslage ausgesetzt sein, die ihm subjektiv das Gefühl gibt, sich nur noch zwischen zwei Übeln entscheiden zu können.

2. Die Drohung mit einer außerordentlichen Kündigung ist dann widerrechtlich, wenn ein verständiger Arbeitgeber eine solche Kündigung nicht ernsthaft in Erwägung ziehen durfte, z.B. wenn er den Arbeitnehmer zu einer Beendigungsvereinbarung oder zum Ausspruch einer Eigenkündigung veranlassen wollte.

3. Die Vorlage eines falschen COVID-19-Impfzertifikats, um sich entweder unbefugten Zutritt zum Arbeitsplatz zu verschaffen oder eine tarifliche Impfprämie zu erschleichen, ist als wichtiger Grund i.S.d. § 626 Abs. 1 BGB "an sich" geeignet, den Ausspruch einer außerordentlichen Tat-, aber auch Verdachtskündigung zu rechtfertigen.

4. Das Gebot fairen Verhandelns schützt die Entscheidungsfreiheit bei Verhandlungen über den Abschluss eines Aufhebungsvertrags und kann auch auf Gespräche Anwendung finden, die in eine Eigenkündigung münden. Aber eine Drohung i.S.v. § 123 Abs. 1 Alt. 2 BGB, die mangels Widerrechtlichkeit nicht zur Anfechtbarkeit der Eigenkündigung führt, kann bei der im Rahmen des Gebots fairen Verhandelns vorzunehmenden Bewertung der konkreten Situation nicht als Pflichtverletzung angesehen werden.

 

Normenkette

BGB § 123 Abs. 1, § 626 Abs. 1; IfSG § 28b Abs. 1; StGB § 279; ZPO § 138 Abs. 4

 

Verfahrensgang

ArbG Kaiserslautern (Entscheidung vom 15.11.2022; Aktenzeichen 3 Ca 398/22)

 

Tenor

  1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Kaiserslautern vom 15. November 2022, Az. 3 Ca 398/22, wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
  2. Die Revision wird nicht zugelassen.
 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer Eigenkündigung des Klägers.

Der im Oktober 1971 geborene Kläger (ledig, kinderlos) war seit 1. November 2010 bei den US-Stationierungsstreitkräften zu einer Monatsvergütung von zuletzt € 3.383,71 brutto als Feuerwehrmann in H. beschäftigt. Er gehört nicht zum Personenkreis der schwerbehinderten oder gleichgestellten Menschen. Auf das Arbeitsverhältnis fand kraft einzelvertraglicher Vereinbarung ua. der Tarifvertrag für die Zivilbeschäftigten bei den Stationierungsstreitkräften (im folgenden TVAL-II) Anwendung. In der Beschäftigungsdienststelle des Klägers (USAG-K) werden regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer beschäftigt; es besteht eine Betriebsvertretung.

Während der Corona-Pandemie waren besondere Schutzmaßnahmen am Arbeitsplatz vorgeschrieben, um das Infektionsrisiko zu senken. Nach § 28b Abs. 1 Satz 1 Infektionsschutzgesetz (IfSG) idF. vom 22. November 2021 durften Beschäftigte ab dem 24. November 2021 Arbeitsstätten, in denen physische Kontakte von Arbeitgebern und Beschäftigten untereinander oder zu Dritten nicht ausgeschlossen werden konnten, nur betreten, wenn sie geimpft, genesen oder getestet waren und einen Impf-, Genesenen- oder Testnachweis mit sich führten, zur Kontrolle verfügbar hielten oder beim Arbeitgeber hinterlegten (sog. 3G-Regel am Arbeitsplatz). Der Testnachweis durfte nicht älter als 24 Stunden sein. Bis einschließlich 22. Dezember 2021 legte der Kläger der Dienststelle negative Testergebnisse vor. Die Tarifvertragsparteien des TVAL-II beschlossen in der Tarifrunde 2021/2022 die Zahlung einer Impfprämie von € 100,00. Alle vollständig geimpften Beschäftigten konnten diese Prämie bis 28. Februar 2022 mit einem entsprechenden Impfnachweis einfordern. Am 24. Dezember 2021 legte der Kläger der Dienststelle ein digitales COVID-19-Impfzertifikat vor, das durchgeführte Impfungen mit vollständigem Impfschutz bereits seit dem 28. Mai 2021 auswies. Die Dienststelle bezweifelte die Echtheit des vorgelegten Zertifikats. Am 7. Januar 2022 wurde der Kläger von der US-Militärpolizei angehört. Er erklärte, dass er im Impfzentrum Alzey geimpft worden sei und legte auf Nachfrage am 18. Januar 2022 eine Kopie seines Impfausweises vor. Die Dienststelle erstattete Strafanzeige. Die Staatsanwaltschaft führt ein Ermittlungsverfahren gegen den Kläger, das noch nicht abgeschlossen ist. Ende März 2022 fand eine Wohnungsdurchsuchung statt, der Impfausweis...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?