Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitsunfall. Haftungsausschluss. Schmerzensgeld. Vorsatz. Schmerzensgeld bei Arbeitsunfall

 

Leitsatz (redaktionell)

Selbst bei vorsätzlicher Missachtung von Unfallverhütungsvorschriften müssen der Arbeitgeber oder seine Mitarbeiter den Unfall und die konkreten Unfallfolgen vorsätzlich herbeigeführt haben, um hierfür zu haften.

 

Normenkette

SGB VII § 104 Abs. 1, § 105 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Koblenz (Urteil vom 02.04.2008; Aktenzeichen 6 Ca 1553/07)

 

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über ein Schmerzensgeld nach einem Arbeitsunfall.

Der Kläger (geb. am 02.04.1060, verheiratet, zwei Kinder) ist seit Juni 1997 im Betrieb der Beklagten als Verzinker, zuletzt als Schichtführer, beschäftigt. Er ist ausgebildeter Kfz-Mechaniker. Sein durchschnittlicher Bruttomonatslohn betrug nach eigenen Angaben zuletzt EUR 3.700, einschließlich aller Zulagen. Die Beklagte beschäftigt in der Produktion zwischen 200 und 300 Arbeitnehmer.

Am 22.03.2007 erlitt der Kläger in der Nachtschicht einen Arbeitsunfall, den die zuständige Berufsgenossenschaft anerkannt hat. Der Kläger verletzte sich schwer. Er verlor die Sehkraft auf dem rechten Auge vollständig, die Sehkraft auf dem linken Auge ist derzeit um ca. 50 % reduziert. Der Kläger ist nach wie vor arbeitsunfähig erkrankt.

Die Mitarbeiter der Frühschicht hatten am 21.03.2007 Rohre zur Verzinkung vorzubereiten und u.a. in einem Entfettungsbad zu reinigen. Nach der Herausnahme der Rohre aus dem Entfettungsbad stellte ein Mitarbeiter fest, dass aus einem Vierkantrohr das Entfettungsmittel nur spärlich auslief. Der Arbeitnehmer S. versuchte das Rohr mit einem Draht freizumachen. Ob dies restlos gelang, ist zwischen den Parteien streitig. Herr S. setzte den in der Frühschicht anwesenden Meister, Herrn M., über den Vorfall in Kenntnis. Die weiteren Anweisungen des Meisters M. sind zwischen den Parteien streitig. Das Vierkantrohr ist anschließend mit anderen Rohren zur weiteren Vorbereitung der Verzinkung in ein Säurebad getaucht worden. In diesem Bad sind die Rohre bis zur Übernahme durch die Mitarbeiter der Nachtschicht am 21.03.2007 verblieben. Sie wurden ab ca. 0.30 Uhr am 22.03.2007 weiterverarbeitet. Der Kläger, der die Nachtschicht führte, tauchte die Rohre, die an einem Gestell senkrecht aufgehängt waren, in das Zinkbad. Beim Eintauchen des Vierkantrohres, das in der Frühschicht nach der Entfettung freigemacht werden musste, kam es zu einer heftigen Verpuffung in diesem Rohr mit der Folge, dass eine große Menge der heißen Zinkflüssigkeit aus dem Zinkbad herausgeschleudert wurde. Weil das Verzinkungsbecken mit Schutztoren gesichert war, verletzte sich niemand. Der Kläger hat das Gestell, an dem auch das Vierkantrohr aufgehängt war, nach dem Vorfall angehoben und in Richtung Trockenofen transportiert, um die Rohre abkühlen zu lassen.

Nach ca. zwei Stunden wollte der Kläger die Ursache der Verpuffung im Zinkbad untersuchen. Er ordnete an, das Vierkantrohr vom Gestell zu nehmen, auf einem Gabelstapler waagerecht zu lagern und auf Sichthöhe anzuheben. Sodann erteilte er dem Arbeitnehmer R. die Anweisung, an einem Rohrende mit einem Feuerzeug in das Rohr zu leuchten, während er am anderen Ende mit dem bloßen Auge (ohne Schutzbrille) in das Rohr schaute, um es zu inspizieren. Beim Entzünden des Feuerzeugs kam es zu einer heftigen Explosion. Dem Rohr entwich eine Stichflamme sowie kochende und ätzende Flüssigkeit. Der Kläger verletzte sich an beiden Augen und im Gesicht. Außerdem trug er durch die Wucht der Explosion, die ihn zurückschleuderte, noch Verletzungen am Bein davon.

Der Kläger ist der Ansicht, die Beklagte habe den Unfall vorsätzlich verursacht, so dass sie verpflichtet sei, Schmerzensgeld zu zahlen. Ihr sei ein vorsätzliches Organisationsverschulden und Anweisungsverschulden anzulasten.

Wegen weiterer Einzelheiten des erstinstanzlichen Parteivorbringens wird zur Vermeidung von Wiederholungen gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen und auf die Zusammenfassung im Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz – Auswärtige Kammern Neuwied – vom 02.04.2008 (S. 3 – 7 = Bl. 84 – 88 d. A.) Bezug genommen.

Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,

festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm ein angemessenes Schmerzensgeld aus dem Arbeitsunfall vom 22.03.2007 zu zahlen.

Die Beklagte hat erstinstanzlich beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Arbeitsgericht Koblenz – Auswärtige Kammern Neuwied – hat mit Urteil vom 02.04.2008 die Klage abgewiesen. Zur Begründung dieser Entscheidung hat das Arbeitsgericht im Wesentlichen ausgeführt, die Beklagte schulde dem Kläger kein Schmerzensgeld, weil sie den Unfall nicht vorsätzlich herbeigeführt habe. Soweit der Kläger ein Organisationsverschulden damit begründe, dass keine hinreichende Kontrolle der zu verzinkenden Rohre auf das Vorhandensein von Fremdkörpern erfolgt und dass der Spätschicht nicht mitgeteilt worden sei, dass es berei...

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