Entscheidungsstichwort (Thema)

Unbegründeter Auflösungsantrag der Arbeitnehmerin bei zumutbarer Hinweispflicht über unbefriedigenden Verlauf einer Wiedereingliederungsmaßnahme

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Gemäß § 13 Abs. 1 Satz 3 und § 9 Abs. 1 Satz 1 KSchG hat das Arbeitsgericht auf Antrag der Arbeitnehmerin das Arbeitsverhältnis aufzulösen und den Arbeitgeber zur Zahlung einer angemessenen Abfindung zu verurteilen, wenn es festgestellt hat, dass das Arbeitsverhältnis durch die außerordentliche Kündigung des Arbeitgebers nicht aufgelöst, die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses der Arbeitnehmerin jedoch nicht zuzumuten ist.

2. An die Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses sind geringere Anforderungen zu stellen als an eine arbeitnehmerseitige fristlose Kündigung, da § 626 BGB auch den Arbeitgeber vor einer unberechtigten außerordentlichen Kündigung der Beschäftigten schützt.

3. Auch wenn die Zumutbarkeitserwägungen im Rahmen einer langfristigen Prognose anzustellen sind, ist gleichwohl stets zu beachten, dass die Auflösungsmöglichkeit durch das Arbeitsgericht eine Ausnahme darstellt, weil der Zweck des Kündigungsschutzgesetzes grundsätzlich in der Gewährung von Bestandsschutz besteht; in einer sozialwidrigen Kündigung allein kann daher noch kein Auflösungsgrund gesehen werden.

4. Als Auflösungsgründe kommen nur solche Umstände in Betracht, die in einem inneren Zusammenhang mit der vom Arbeitgeber erklärten sozialwidrigen Kündigung stehen oder die im Laufe des Kündigungsschutzrechtsstreits (etwa durch Äußerungen des Arbeitgebers im Kündigungsschutzprozess) entstanden sind; zu beachten ist dabei, dass praktisch durch jede Kündigung Spannungen zwischen den Arbeitsvertragsparteien auftreten und diese allein den Auflösungsantrag noch nicht rechtfertigen können.

5. Die Unzumutbarkeit muss sich aus vom eigentlichen Kündigungsvorwurf losgelösten Gründen ergeben, die der Arbeitgeber setzt, wobei die Unzumutbarkeitsgründe noch in einem inneren Zusammenhang mit der Kündigung oder dem Kündigungsschutzprozess stehen müssen.

6. Erlebt die Arbeitnehmerin die Situation in einer Wiedereingliederungsmaßnahme als unbefriedigend und in ihren Persönlichkeitsrechten verletzend, ist es ihr gemäß § 241 Abs. 2 BGB ohne Weiteres zuzumuten, den Arbeitgeber darauf in geeigneter Form hinzuweisen und um Abhilfe zu ersuchen; ein Arbeitgeber, der sich erkennbar bemüht, ärztlichen Vorgaben Rechnung zu tragen, muss schon allein im Hinblick auf den Umstand, dass es sich bei einer Wiedereingliederung um eine zeitlich überschaubare Maßnahme handelt, nicht davon ausgehen, dass diese Maßnahme in ihrem Verlauf von der Arbeitnehmerin nach mehr als einjähriger Abwesenheit als unbefriedigend oder demütigend empfunden werden kann.

 

Normenkette

KSchG § 13 Abs. 1 S. 3, § 9 Abs. 1 S. 1; BGB § 241 Abs. 1, § 611 Abs. 1

 

Verfahrensgang

AG Koblenz (Entscheidung vom 24.07.2013; Aktenzeichen 11 Ca 3439/12)

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 24.07.2013 - 11 Ca 3439/12 - wird zurückgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien des vorliegenden Rechtsstreits streiten (im Berufungsverfahren nur noch) darüber, ob das zwischen ihnen bestehende Arbeitsverhältnis aufgrund eines Auflösungsantrags der Klägerin gegen Zahlung einer Abfindung aufzulösen ist.

Die 1957 geborene, verheiratete Klägerin ist seit dem 01.01.1979 bei dem beklagten Land als Sachbearbeiterin in der Zentralen Besoldungs- und Versorgungsstelle in X beschäftigt. Das durchschnittliche Bruttomonatsgehalt der Klägerin beträgt 3.200,44 €. Nach verschiedenen Krankheitsphasen in den Jahren 2008 bis 2011 fand im Februar 2011 eine amtsärztliche Untersuchung statt, bei der der Amtsarzt zu dem Ergebnis kam, dass die bisherigen Ausfallzeiten durch unterschiedliche Krankheitsbilder verursacht seien und mit Wiederaufnahme der Arbeitstätigkeit "demnächst" zu rechnen sei. Ab dem 08.09.2011 war die Klägerin durchgehend arbeitsunfähig erkrankt. Mit Schreiben vom 12.09.2012 hat das beklagte Land das Arbeitsverhältnis "außerordentlich und fristlos, jedoch unter Einhaltung einer sozialen Auslauffrist" zum 31.03.2013 gekündigt. Dagegen hat sich die Klägerin mit der rechtzeitig erhobenen Kündigungsschutzklage gewandt. Während des laufenden Kündigungsschutzverfahrens vor dem Arbeitsgericht Koblenz (11 Ca 3439/12) fand ab dem 29.10.2012 eine Maßnahme zur stufenweisen Wiedereingliederung der Klägerin in das Erwerbsleben auf der Basis eines Wiedereingliederungsplanes ihres Arztes statt. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf S. 3 der angefochtenen Entscheidung (= Bl. 80 d. A.) Bezug genommen. Im Gütetermin vom 08.11.2012 stellten die Parteien das Verfahren einvernehmlich terminslos, um den Erfolg der Wiedereingliederungsmaßnahme abzuwarten.

Am 30.11.2012 schrieb die Gesundheitsmanagerin Frau A. per E-Mail die Klägerin an (vgl. Bl. 58 d. A.). Die E-Mail lautet auszugsweise:

"ich wollte mal hören ...

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