Entscheidungsstichwort (Thema)
Abrechnungsbetrug. Kündigung, außerordentliche. Kündigung, ordentliche. Außerordentliche/ordentliche Kündigung wegen Abrechnungsbetruges. Auflösungsantrag des Arbeitnehmers
Leitsatz (redaktionell)
1. Ein Abrechnungsbetrug über Pflegepauschalen ist an sich geeignet, einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung darzustellen.
2. Es stellt keine gravierende Aufsichtspflichtverletzung eines in einer sogenannten familienanalogen Außenwohngruppe tätigen Erziehers dar, wenn er einem Jugendlichen gelegentliche Übernachtungen bei Freunden gestattet und er weiß, bei wem der Jugendliche übernachtet.
3. Die in § 9 Abs. 1 Satz 1 KSchG vorgesehene Lösungsmöglichkeit dient allein dem Schutz des Arbeitnehmers vor einer Weiterarbeit unter unzuträglichen Arbeitsbedingungen. Der alleine in seinem Interesse geschaffene Bestandsschutz des Arbeitsverhältnisses soll nur so lange aufrechterhalten werden, als ihm die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zumutbar ist. Das Merkmal der Unzumutbarkeit bezieht sich daher nicht wie bei § 626 BGB auf einen zeitlich begrenzten Zeitraum, sondern auf die gesamte zukünftige Dauer des Arbeitsverhältnisses. Dementsprechend sind die Zumutbarkeitserwägungen im Rahmen einer langfristigen Prognose anzustellen.
Normenkette
BGB § 626; KSchG §§ 1, 10, 9
Verfahrensgang
ArbG Kaiserslautern (Urteil vom 08.04.2004; Aktenzeichen 6 Ca 1100/03) |
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Kaiserslautern – Auswärtige Kammern Pirmasens – vom 08.04.2004 – 6 Ca 1100/03 – wird zurückgewiesen.
2. Der Auflösungsantrag des Klägers wird zurückgewiesen.
3. Der Kläger hat 1/3, die Beklagte 2/3 des Berufungsverfahrens zu tragen.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien des vorliegenden Rechtsstreits streiten darüber, ob das zwischen ihnen bestehende Arbeitsverhältnis aufgrund einer außerordentlichen bzw. vorsorglich erklärten ordentlichen Kündigung der Beklagten beendet worden ist.
Der Kläger ist bei der Beklagten seit Dezember 1989 als Erzieher beschäftigt. Er ist in einer sogenannten familienanalogen Außenwohngruppe tätig. Die Tätigkeit der im Rahmen der Familienwohngruppe angestellten Mitarbeiter zeichnet sich insbesondere dadurch aus, dass sie eine in allen Bereichen hauswirtschaftlich-versorgerische und pädagogische Begleitung der verhaltensauffälligen und/oder behinderten Kinder und Jugendlichen darstellt. Der Kläger erhält eine durchschnittliche monatliche Bruttovergütung in Höhe von 4.000,00 EUR. Hinzu kommt eine kalendertägliche Pflegesatzpauschale, sowie eine personenbezogene Pauschale.
Die Außenwohngruppe erhält, jeweils monatlich im Voraus, auf der Basis der Anzahl der regelmäßig dort ungebrachten Kinder/Jugendlichen für die auszuzahlende Pflegesatzpauschale einen Vorschussbetrag angewiesen und ausgezahlt. Dabei wird die Berechnung des Vorschusses auf der Basis der Anzahl der Kalendertage des jeweiligen Monats und der Anzahl der Kinder berechnet, zuzüglich der in der Pflegesatzpauschale nicht enthaltenen Positionen Taschen- und Kleidergeld.
Jeweils nach Ende eines Monats ist der Beklagten auf der Basis einer Belegungsmitteilung mitzuteilen, an welchen Tagen, welches Kind sich nicht in der Außenwohngruppe aufgehalten hat, damit aufgrund dieser Angaben die endgültigen Leistungsabrechnungen für die jeweiligen Monate vorgenommen werden können. Diese Leistungsabrechnungen sind die Basis der dann zwischen der Beklagten und den Jugendämtern durchzuführenden Abrechnungen.
Mit Schreiben vom 13.11.2003, das dem Kläger am gleichen Tage zuging, hat die Beklagte das Arbeitsverhältnis fristlos und hilfsweise ordentlich zum 30.06.2004 gekündigt.
Mit der am 21.11.2003 beim Arbeitsgericht Kaiserslautern – Auswärtige Kammern Pirmasens – eingegangenen Klage wendet sich der Kläger gegen diese Kündigung.
Der Kläger hat vorgetragen,
er habe keinen Abrechnungsbetrug hinsichtlich des betreuten Jugendlichen X begangen.
X habe ab dem 01.08.2003 bei der Firma W in V ein Vorpraktikum absolviert. Ab dem 01.09.2003 habe sodann seine Ausbildung begonnen, die bereits am 05.09.2003 wieder aufgekündigt worden sei – was zwischen den Parteien unstreitig ist.
Für die Zeit der Sommerferien 2003 habe der Kläger mit seiner Ehefrau bei der Beklagten Urlaub beantragt und auch angegeben, welche Kinder man in den Urlaub mitzunehmen beabsichtige. Der Name von X sei in dem Antrag nicht enthalten gewesen. Der Urlaubsantrag habe dann zur Folge gehabt, dass die für die mitgenommenen Kinder anfallenden Kosten im Voraus festgesetzt und an die Betreuer ausgezahlt worden seien. Dies sei auch vorliegend geschehen. Nachdem er und seine Ehefrau allerdings ihre Urlaubspläne hätten fallen gelassen, sei das ausgezahlte Geld an die Beklagte erstattet worden. Nachdem er eigentlich davon ausgegangen sei, dass er während der Zeit des Vorpraktikums von X sich im Urlaub befinde, habe er mit X vereinbart, dass dieser während der Urlaubszeit bei seinem Freund U in T wohnen solle. Dieser habe ihn dan...