rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Anhörungsrecht. Betriebsrat. Unterrichtung. Verzicht. Anforderungen an die Wirksamkeit einer Betriebsratsanhörung
Leitsatz (amtlich)
1. Eine ohne Anhörung des Betriebsrats ausgesprochene Kündigung ist unwirksam. Entsprechendes kann gelten, wenn der Arbeitgeber den Betriebsrat zwar beteiligt, ihm aber bei der ihm obliegenden Einleitung und Durchführung der Anhörung Fehler unterlaufen sind, er insbesondere seiner Unterrichtungspflicht nach § 102 Abs. 1 S. 2 BetrVG nicht ausführlich genug nachkommt.
2. Auf das Anhörungsrecht können vorab weder der Betriebsrat noch der von der Kündigung betroffene Arbeitnehmer wirksam verzichten.
3. Eine wirksame Anhörung des Betriebsrats erfordert, dass der Arbeitgeber bei Einleitung des Anhörungsverfahrens einen aktuellen Kündigungsentschluss gefasst hat.
4. Die Unterrichtung soll dem Betriebsrat den erforderlichen Kenntnisstand vermitteln, damit er zu der konkret beabsichtigten Kündigung eine Stellungnahme abgeben kann. Er muss also selbst dann, wenn er alles weiß, was der Arbeitgeber weiß, darüber informiert werden, auf welchen kündigungsrechtlich relevanten Tatsachenkomplex die Kündigung gestützt wird.
Diesen Anforderungen genügt der Arbeitgeber nicht, wenn er dem Betriebsrat lediglich pauschal mitteilt, Grund der Kündigung sei der Einblick in ein dem Betriebsrat inhaltlich unbekanntes graphologisches Gutachten, nach dem mehrere Schecks blanko vom Arbeitnehmer unterschrieben sein sollen.
Normenkette
BGB § 626 Abs. 1; BetrVG § 102 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Mainz (Urteil vom 28.08.2008; Aktenzeichen 3 Ca 905/07) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz vom 28. August 2008 – 3 Ca 905/07 – weiter teilweise abgeändert:
Es wird festgestellt, dass das zwischen dem Kläger und dem Beklagten zu 1. bestehende Arbeitsverhältnis weder durch die außerordentliche Kündigung des Beklagten zu 1. vom 06. Februar 2008 noch durch die ordentliche Kündigung des Beklagten zu 1. vom 08. Februar 2008 beendet worden ist.
Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz haben der Kläger und der Beklagte zu 1. jeweils ½ zu tragen,
die außergerichtlichen Kosten erster Instanz der Beklagten zu 2. hat der Kläger,
die außergerichtlichen Kosten erster Instanz des Beklagten zu 1. hat dieser selbst,
von den außergerichtlichen Kosten erster Instanz des Klägers haben dieser und der Beklagte zu 1. jeweils die Hälfte zu tragen.
Von den Kosten des Berufungsverfahrens hat der Beklagte zu 1. die Kosten der Beweisaufnahme, im Übrigen haben der Kläger und der Beklagte zu 1. die Kosten des Berufungsverfahrens jeweils zu ½ zu tragen,
die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 2. im Berufungsverfahren hat der Kläger,
die außergerichtlichen Kosten des Beklagten zu 1. im Berufungsverfahren hat dieser selbst,
von den außergerichtlichen Kosten des Klägers im Berufungsverfahren haben dieser und der Beklagte zu 1. jeweils die Hälfte zu tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten – nach Erlass eines rechtskräftigen Teilurteils vom 10. September 2009 – noch über die Wirksamkeit der von dem Beklagten zu 1) jeweils durch zwei gleich lautende Schreiben ausgesprochenen Kündigungen vom 6. Februar 2008 (außerordentlich) sowie vom 8. Februar 2008 (ordentlich zum 30. September 2008) im Zusammenhang mit der Begehung der Straftat der Untreue durch eine Mitarbeiterin.
Der am 30. Januar 1954 geborene Kläger ist verheiratet und Vater dreier unterhaltsberechtigter Kinder, die sich noch in der Schule/Ausbildung befinden. Er ist aufgrund Anstellungsvertrages vom 20. Juni 1996 (Bl. 4 d. A.) seit dem 1. September 1996 als Geschäftsführer der Beklagten zu 2., einer Unterorganisation des Beklagten zu 1., angestellt. Zuvor war der Kläger ununterbrochen seit 1985 in vergleichbarer Position als Bildungsreferent und Jugendsekretär der Sr R bei dem Sportbund R e. V., der wiederum Mitglied des Beklagten zu 1. ist, beschäftigt.
Gemäß Ziffer 2 des Anstellungsvertrages richtet sich das Angestelltenverhältnis „nach den Vorschriften des Bundesangestellten-Tarifvertrages BAT vom 23.01.1961 und den diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträgen, soweit nachfolgend keine Sonderbestimmungen festgelegt sind”. Der Kläger erzielt ein Bruttojahresgehalt in Höhe von 68.000,00 EUR.
Der Kläger war – gemeinsam mit einer Mitarbeiterin des Beklagten zu 1. – zeichnungsberechtigt für das Konto Nr. 75382 der Beklagten zu 2. Im Fall der Abwesenheit des Klägers konnte sein Stellvertreter G gemeinsam mit einer Mitarbeiterin des Beklagten zu 1. verfügen.
Mit Datum vom 8. Dezember 2004 (Anlage B 10, Bl. 297 ff. d. A.) wurde dem Kläger eine Abmahnung „wegen Pflichtverletzungen im Zusammenhang mit der Organisation des Olympischen Jugendlagers in A” erteilt. Zu dieser nahm der Kläger mit Schreiben ohne Datum (Anlage K 24, Bl. 330 d. A.) Stellung.
In den Jahren 2000 bis 2006 kam es zu einer Vielzahl von finanziellen Unregelmäßigkeiten bei der Beklagten zu 2., verursacht durch...