Entscheidungsstichwort (Thema)
Unklarheitenregel des § 305c Abs. 2 BGB. Personenbedingte Kündigung. Dreistufiges Prüfungsschema bei der krankheitsbedingten Kündigung. Kündigungsrecht und Vertragsvorschriften im schuldrechtlichen Teil des BGB
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Unklarheitenregel des § 305c Abs. 2 BGB kommt zur Anwendung, wenn die Auslegung einer einzelnen Klausel in Allgemeinen Geschäftsbedingungen nach Ausschöpfung aller Auslegungsmethoden mindestens zwei Ergebnisse als vertretbar erscheinen lässt und keines den klaren Vorzug verdient.
2. Ein Grund zur Kündigung aus Gründen in der Person des Arbeitnehmers kann gegeben sein, wenn dieser die erforderliche Eignung oder Fähigkeit nicht (mehr) besitzt, um zukünftig die geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen.
3. Die Überprüfung einer krankheitsbedingten Kündigung hat in drei Stufen zu erfolgen. Zunächst bedarf es einer negativen Prognose hinsichtlich des weiteren Gesundheitszustandes des zu kündigenden Arbeitnehmers. Im Anschluss daran ist zu prüfen, ob die entstandenen und prognostizierten Fehlzeiten zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen führen. Abschließend wird nach Maßgabe einer einzelfallbezogenen Interessenabwägung geprüft, ob die erheblichen betrieblichen Beeinträchtigungen zu einer billigerweise nicht mehr hinnehmbaren betrieblichen und/oder wirtschaftlichen Belastung des Arbeitgebers führen.
4. Das Kündigungsrecht ist lex specialis zu den Anpassungsmöglichkeiten des § 313 BGB. Das bedeutet jedoch nicht, dass Tatbestände, die zu einer Störung oder dem Wegfall der Geschäftsgrundlage geführt haben, in kündigungsrechtlicher Hinsicht außer Betracht bleiben müssten. Derartige Sachverhalte sind im Rahmen der §§ 2, 1 Abs. 2 KSchG zu würdigen.
Normenkette
BGB §§ 313, 626; KSchG § 1; BGB §§ 151, 305c, 310 Abs. 3 Nr. 1; KSchG § 2; TzBfG § 15 Abs. 3; MTV Metall- und Elektroindustrie RP § 24 Nr. 2
Verfahrensgang
ArbG Trier (Entscheidung vom 17.09.2020; Aktenzeichen 3 Ca 645/19) |
Tenor
- Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Trier vom 17.09.2020 - 3 Ca 645/19 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
- Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Beendigung des zwischen ihnen bestehenden Arbeitsverhältnisses.
Der 1957 geborene Kläger begann im April 1978 seine Tätigkeit als Schlosser bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten, der Firma E. GmbH& Co KG. Am 16. März 1978 übersandte diese dem Kläger ein Anschreiben, welches auszugsweise lautet:
Ihre Einstellung
Sehr geehrter Herr A.!
Wir beziehen uns auf Ihre Bewerbung und bestätigen Ihnen, dass wir Sie ab 03.04.1978 als Schlosser einstellen. (...)
Ihrem Arbeitsverhältnis liegen die gesetzlichen Bestimmungen, der Manteltarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer in der Eisen- und Metall erzeugenden und verarbeitenden Industrie im Lande Rheinland-Pfalz in Verbindung mit dem jeweiligen Lohnabkommen, die Betriebsvereinbarungen, unsere Arbeitsbedingungen sowie die betrieblichen Anweisungen zugrunde.
Zuletzt war der Kläger als Monteur in der Produktion tätig. In den Jahren 2013 bis 2016 fehlte der Kläger
-
- 2013 vom 08.07. bis 12.07., am 27.09., vom 07.10. bis 25.10.
- 2014 vom 06.03. bis 19.03., am 09.05., vom 14.08. bis 31.12.
- 2015 vom 01.01. bis 28.02. und vom 19.03. bis 04.05.
- 2016 vom 27.09. bis 30.09. und am 06.10.
Im Jahr 2017 war der Kläger vom 07.03.2017 bis zum 31.12.2017 arbeitsunfähig erkrankt und nahm nach einer stufenweisen Wiedereingliederung am 02.01.2018 seine Tätigkeit wieder auf.
Nachdem der Kläger bereits im April 2016 einen Antrag auf Inanspruchnahme von Altersteilzeit ab dem 01.01.2017 gestellt hatte, fanden von Januar bis März 2019 mehrere Gespräche zwischen dem Kläger und der Personalleiterin der Beklagten statt, in denen der Antrag auf Altersteilzeit erörtert wurde. Die Beklagte äußerte hierbei ihre Bedenken bezüglich der Arbeitsfähigkeit des Klägers in der Arbeitsphase. Wie der Kläger sich hierzu einließ, ist zwischen den Parteien streitig.
Am 07.03.2018 schlossen die Parteien einen Altersteilzeitvertrag für die Dauer vom 01.05.2018 bis zum 30.06.2021. Auf diesen Vertrag wird Bezug genommen. Er sieht eine Arbeitsphase vom 01.05.2018 bis zum 30.11.2019 und eine Freistellungsphase vom 01.12.2019 bis 30.06.2021 vor.
In dem Altersteilzeitvertrag heißt es auszugsweise:
1. Beginn der Altersteilzeit
Das am 03.04.1978 begonnene Arbeitsverhältnis wird hiermit im gegenseitigen Einvernehmen geändert und ab dem 01.05.2018 als Altersteilzeitarbeitsverhältnis fortgeführt.
Die Bedingungen des bestehenden Arbeitsverhältnisses bleiben bestehen, soweit sie im Folgenden nicht neu geregelt werden oder im Widerspruch zum Altersteilzeitgesetz stehen."
3. Arbeitszeit
Die Arbeitszeit ist so zu verteilen, dass sie in der Arbeitsphase, in der Zeit vom
01.05.2018 bis zum 30.11.2019, im Durchschnitt der bisher vereinbarten vertraglichen
wöchentlichen regelmäßigen Arbeitszeit entspricht. In der Freistellungsphase,
in der Zeit vom 01.12.2019 bis zum 30.06.2021,...