Entscheidungsstichwort (Thema)
Merkmale einer verhaltensbedingten Kündigung. Soziale Rechtfertigung einer arbeitgeberseitigen ordentlichen verhaltensbedingten Kündigung. Prognoseprinzip bei der verhaltensbedingten Kündigung. Erforderlichkeit einer Abmahnung vor einer verhaltensbedingten Kündigung. Prinzip der Sachnähe bei der Darlegungs- und Beweislast bei verhaltensbedingten Kündigungen. Richterliche Überzeugung über den Inhalt der Verhandlung und über die Beweisaufnahme
Leitsatz (redaktionell)
1. Für eine verhaltensbedingte Kündigung kommt es darauf an, ob dem Arbeitnehmer ein nachhaltiger Verstoß gegen berechtigte Weisungen des Arbeitgebers oder eine erhebliche Verletzung der ihn treffenden Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen des Arbeitgebers vorzuwerfen ist. Ebenso können Gründe, die eine fristlose Kündigung rechtfertigen, auch einen verhaltensbedingten Kündigungsgrund darstellen.
2. Für die soziale Rechtfertigung einer verhaltensbedingten Kündigung kommt es darauf an, dass das Fehlverhalten oder eine Schlechtleistung des Arbeitnehmers nach einer umfassenden Interessenabwägung und unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses unumgänglich machen.
3. Bei der Entscheidung über eine verhaltensbedingte Kündigung gilt das Prognoseprinzip. Ist eine erneute Vertragsverletzung - auch nach einer Abmahnung - zu erwarten, liegt eine negative Prognose vor.
4. Für die Beachtung des Prognoseprinzips ist regelmäßig zu prüfen, ob eine Abmahnung ausgesprochen wurde. Denn diese soll den Arbeitnehmer auf die Gefährdung seines Arbeitsverhältnisses hinweisen. Nur wenn er nicht gewillt ist, sich zukünftig vertragsgerecht zu verhalten, kommt die verhaltensbedingte Kündigung in Betracht.
5. Für die Darlegungs- und Beweislast gilt das Prinzip der Sachnähe. Je näher eine Prozesspartei an dem tatsächlichen Geschehen selbst unmittelbar beteiligt ist, desto eingehender und substantiierter hat sie vorzutragen und ggfs. auch zu beweisen.
6. Das Gericht hat unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses der Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder nicht wahr zu erachten ist. Das Prinzip der freien Beweiswürdigung ist tragender Grundsatz der rechtsprechenden Gewalt.
Normenkette
ArbGG § 67 Abs. 2; KSchG § 1; BGB § 241 Abs. 2; ZPO § 286 Abs. 1; BGB § 626 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Ludwigshafen (Entscheidung vom 19.06.2018; Aktenzeichen 6 Ca 145/18) |
Tenor
- Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen- Auswärtige Kammern Landau - vom 19.06.2018, Az.: 6 Ca 145/18 wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
- Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien des vorliegenden Rechtsstreites streiten im Berufungsverfahren nur noch über die Wirksamkeit einer ordentlichen verhaltensbedingten Kündigung, nachdem sie sich im erstinstanzlichen Rechtszug auch über einen Anspruch des Klägers auf Entfernung von 8 Abmahnungen aus seiner Personalakte auseinander gesetzt haben.
Der 1962 geborene Kläger ist bei der Beklagten seit dem 01.11.2005 aufgrund schriftlichen Arbeitsvertrages vom 21.10.2005 beschäftigt. Bei der Beklagten handelt es sich um einen Automobilzulieferer mit mehr als 400 Arbeitnehmern.
Der schriftlich abgeschlossene Arbeitsvertrag vom 21.10.2005 enthält unter anderem folgende Regelung:
"1. AUFGABENSTELLUNG UND STATUS
1.1 Herr A. wird für F. Innenraumsysteme im Rahmen des geltenden Organisationskonzepts als Industriepilot tätig.
1.2 Die Einstufung erfolgt in ein außertarifliches Anstellungsverhältnis.
1.3 Herr A. berichtet funktionell und disziplinarisch an den Leiter Industrialisierung.
1.4 Im Rahmen seiner Tätigkeit ist Herr A. auch verantwortlich für die Erreichung der unternehmerischen und abteilungsinternen Ziele."
Hinsichtlich des weiteren Inhalts des Arbeitsvertrages wird auf Bl. 21 - 24 d.A. Bezug genommen.
Am 01.08.2016 haben die Parteien folgenden Nachtrag zum Anstellungsvertrag vom 21.10.2005 vereinbart:
"1 Aufgabenstellung und Status
1.1 Der Mitarbeiter wird als Fachkraft für Maschinen- und Anlagensicherheit/Elektrofachkraft weiterbeschäftigt. In dieser Tätigkeit ist der Mitarbeiter berechtigt, mit dem Zusatz "i.A." (im Auftrag) zu zeichnen, sofern nichts anderes vereinbart wurde.
1.2 Herr A. berichtet disziplinarisch an den Teamleiter T. PPV und funktionell an den H. Manager H.. Die Firma behält sich das Recht vor, die Berichtslinie aufgrund von organisatorischen Veränderungen, Vorgesetztenwechsel oder Abteilungsleiterwechsel entsprechend anzupassen. Der Dienstsitz ist H.."
Die Beklagte hat dem Kläger am 09.11.2017 eine Abmahnung erteilt wegen Verstoßes gegen die Dienstanweisung, eine elektrotechnische Organisation am Standort sicherzustellen, die in der Lage ist, in seiner Abwesenheit elektrotechnische Basisarbeiten durchzuführen, am 10.11.2017 eine Abmahnung wegen Verstoßes gegen die Anweisung, am 06.11.2017 am Top 10 H.-Termin teilzunehmen, am 14.11.2017 eine A...