Entscheidungsstichwort (Thema)
Chefarzt. Konkurrenztätigkeit. Krankenhaus. Kündigung. Unkündbarkeit. Wettbewerbsverbot. Unwirksame außerordentliche Kündigung eines Chefarztes wegen Konkurrenztätigkeit bei anderweitiger Tätigkeit während laufender Kündigungsschutzverfahren
Leitsatz (redaktionell)
1. Nach § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer der Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann.
2. Während des rechtlichen Bestehens eines Arbeitsverhältnisses ist einem Arbeitnehmer grundsätzlich jede Konkurrenztätigkeit zum Nachteil seiner Arbeitgeberin untersagt; die für Handlungsgehilfen geltende Regelung des § 60 Abs. 1 HGB konkretisiert einen allgemeinen Rechtsgedanken.
3. Bei der Bestimmung der Reichweite des Wettbewerbsverbots muss allerdings die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsfreiheit des Arbeitnehmers Berücksichtigung finden; daher ist im Rahmen einer Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls festzustellen, ob nach Art der Haupt- und Nebentätigkeit und der beteiligten Unternehmen überhaupt eine Gefährdung oder Beeinträchtigung der Interessen der Arbeitgeberin vorliegt.
4. Der Arbeitgeberin ist unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Parteien die weitere Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit einem arbeitsvertraglich unkündbaren Chefarzt der Abteilung für Allgemein- und Viszeralchirurgie in einem Stiftshospital sowohl bis zum Ablauf der in § 622 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BGB bestimmten Kündigungsfrist als auch darüber hinaus bis zu der arbeitsvertraglich vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses zuzumuten, wenn sich der Arbeitnehmer nach Ausspruch früherer Kündigungen, deren Rechtsunwirksamkeit inzwischen rechtskräftig festgestellt worden ist, darauf beschränkt hat, seine Arbeitskraft durch Aufnahme eines Arbeitsverhältnisses bei einem anderen Krankenhaus zu verwerten, um seinen Lebensstandard durch Erzielung eines entsprechenden Verdienstes aufrechtzuerhalten und seine Fähigkeiten als Chirurg zu erhalten und damit die vom Arbeitnehmer aufgenommene (Konkurrenz-) Tätigkeit erst durch die unwirksamen Kündigungen der Arbeitgeberin ausgelöst worden sind, ohne die für den Arbeitnehmer keine Veranlassung zur Aufnahme einer anderweitigen Tätigkeit als Chirurg bestanden hätte.
5. Die aus § 615 Satz 2 BGB herzuleitenden Interessen des Arbeitnehmers an der anderweitigen Verwendung seiner Arbeitskraft sind für die Beurteilung erheblich, ob und mit welchem Gewicht ihm die Tätigkeit für ein Konkurrenzunternehmen vorwerfbar ist; wenn der Arbeitnehmer am gekündigten Arbeitsverhältnis festhalten will, geht es ihm mit der Aufnahme einer anderweitigen Tätigkeit für ein Konkurrenzunternehmen zur Verwertung seiner Arbeitskraft ersichtlich nur um eine Übergangslösung, die der Rückkehr zur bisherigen Arbeitgeberin nicht entgegensteht und für diese keine anhaltende Konkurrenz bedeutet.
6. Ist der Arbeitnehmer zur Aufrechterhaltung seines Lebensstandards und zum Erhalt seiner Fähigkeiten als Chirurg auf eine anderweitige Tätigkeit an einem anderen Krankenhaus angewiesen, erscheint der mit einer außerordentlichen Kündigung gemachte Vorwurf eines Wettbewerbsverstoßes weniger schwerwiegend, insbesondere wenn der Arbeitnehmer seine anderweitige Tätigkeit an einem räumlich weit entfernten Krankenhaus ohne jede Schädigungsabsicht aufgenommen hat.
Normenkette
BGB §§ 293, 296, 615, 626; GG Art. 12 Abs. 1; HGB § 60 Abs. 1; KSchG § 1; BGB § 241 Abs. 2, § 611 Abs. 1, § 615 S. 2, § 626 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Koblenz (Entscheidung vom 02.09.2009; Aktenzeichen 6 Ca 650/09 KO) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz - Auswärtige Kammern Neuwied - vom 02.09.2009 - 6 Ca 650/09 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer fristlosen, hilfsweise ordentlichen Kündigung vom 26. März 2009 sowie um Ansprüche auf Vergütung und Rechnungslegung.
Der Kläger war seit dem 1. Juli 2005 als Chefarzt der Abteilung für Allgemein- und Viszeralchirurgie des St. N.-Stiftshospitals in A-Stadt aufgrund Arbeitsvertrags vom 18. April 2005 (Bl. 38 bis 60 d.A.) beschäftigt. Der Arbeitsvertrag der Parteien enthält u.a. folgende Regelungen:
"(...)
§ 19
Tätigkeit außerhalb der Dienstaufgaben
Jede Tätigkeit außerhalb der Dienstaufgaben bedarf der schriftlichen Zustimmung des Krankenhausträgers (Nebentätigkeitserlaubnis).
§ 20
Vertragsdauer, Kündigung
(1) Der Vertrag tritt am 01.07.2005 in Kraft; er wird auf unbestimmte Zeit geschlossen.
Die ersten 6 Monate der Beschäftigung sind Probezeit.
(2) Während der Probezeit kann der Vertrag ...