Entscheidungsstichwort (Thema)
Außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses wegen nicht korrekter Bedienung des Zeiterfassungssystems
Leitsatz (redaktionell)
1. Wiederholte Unpünktlichkeit eines Arbeitnehmers ist nur dann an sich geeignet, die außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses zu rechtfertigen, wenn sie den Grad und die Auswirkung einer beharrlichen Verletzung (Verweigerung) seiner Arbeitspflicht erreicht hat.
2. Auch der vorsätzliche Verstoß eines Arbeitnehmers gegen seine Verpflichtung, die abgeleistete, vom Arbeitgeber nur schwer zu kontrollierende Arbeitszeit korrekt zu dokumentieren, ist an sich geeignet, einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung i.S. von § 626 Abs. 1 BGB darzustellen.
3. Beides zusammen genommen stellt einen wichtigen Grund für die außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses dar, wenn der Arbeitnehmer über einen längeren Zeitraum und in diesem fast durchgängig morgens seine Arbeit zu spät aufgenommen hat und zudem nach dem regulären Arbeitszeitende erbrachte Arbeitszeiten unzutreffend als Nach-Rahmenzeiten erfassen ließ, obwohl es sich tatsächlich um Nacharbeit von Fehlzeiten im Sinne der geltenden Dienstvereinbarung Arbeitszeit handelte.
4. Im Rahmen der Interessenabwägung erweist sich die außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses jedoch als unwirksam, wenn das Arbeitszeitverhalten des Arbeitnehmers in seinem jetzigen Arbeitsbereich, in dem eine Gleitzeitregelung gilt, nicht zu beanstanden wäre und im Übrigen eine Abmahnung nicht erfolgt ist.
Normenkette
BGB § 626 Abs. 1; KSchG § 1 Abs. 1-2; BGB § 626 Abs. 2
Verfahrensgang
ArbG Mainz (Entscheidung vom 02.10.2019; Aktenzeichen 2 Ca 613/19) |
Tenor
I.
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz vom 2. Oktober 2019, Az. 2 Ca 613/19 teilweise abgeändert:
- Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien weder durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 17. April 2019 noch durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 29. April 2019 aufgelöst worden ist.
- Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin ein Zwischenzeugnis zu erteilen, das sich auf Führung und Leistung erstreckt.
- Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II.
Die weitergehende Berufung unter Einschluss der Klageerweiterung im Berufungsverfahren wird zurückgewiesen.
III.
Die erstinstanzlichen Kosten tragen die Beklagte zu 67 % und die Klägerin zu 33 %. Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Klägerin zu 53 % und die Beklagte zu 47 %.
IV.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beklagte ist die gesetzliche Berufsstandsvertretung des Gesamthandwerks im Kammerbezirk R. Sie beschäftigt als Körperschaft des Öffentlichen Rechts weitaus mehr als zehn Arbeitnehmer. Die Klägerin war bei der Beklagten seit dem 5. Mai 2008 auf der Grundlage des Arbeitsvertrages vom 30. April 2008 (Bl. 5 ff. d. A.), zuletzt in der Fassung des Änderungsvertrages vom 3. März 2011 (Bl. 8 f. d. A.) als Angestellte zu einem monatlichen Bruttogehalt von 3.662,98 € beschäftigt. Nach § 2 des ursprünglichen Arbeitsvertrages bestimmte sich das Arbeitsverhältnis nach dem BAT und den diesen ergänzenden oder ersetzenden Tarifverträgen in der für den Bereich der Tarifgemeinschaft Deutscher Länder jeweils gültigen Fassung.
Die zentrale Verwaltung der Beklagten (Geschäftsbereich 3) befindet sich in der C-Straße in C-Stadt. Des Weiteren unterhält die Beklagte zwei Berufsbildungszentren (BBZ). Das Berufsbildungszentrum II befindet sich in C-Stadt-H. Die Beklagte ist in Geschäftsbereiche gegliedert. Die zentrale Verwaltung stellt den Geschäftsbereich 3 dar, zum Geschäftsbereich 4 gehören u. a. die Berufsbildungszentren. Die Klägerin war bis zum 31. Januar 2019 als Mitarbeiterin "BBZ Internes Controlling" sowie im Bereich "BBZ-Verwaltung" tätig. Beide Bereiche gehörten zum Geschäftsbereich 4. Leiter und damit Vorgesetzter der Klägerin im Geschäftsbereich 4 war der Geschäftsbereichsleiter J. F.. Arbeitsort der Klägerin war das Berufsbildungszentrum II. Mit Wirkung ab dem 1. Februar 2019 ordnete die Beklagte den Bereich "BBZ Internes Controlling" in den Geschäftsbereich 3 (Zentrale Verwaltung) ein. Dementsprechend soll der Arbeitsort der Klägerin der Sitz der zentralen Verwaltung sein. Neuer Vorgesetzter der Klägerin ab dem Zeitpunkt der Neuzuordnung war der Geschäftsbereichsleiter "Zentrale Verwaltung", der erstinstanzlich vernommene Zeuge, Herr L.. Wegen der Einzelheiten der organisatorischen Gliederung der Beklagten wird auf die von der Beklagten mit erstinstanzlichem Schriftsatz vom 24.06.2019 vorgelegten Organigramme (Bl. 85, 86 d. A.) Bezug genommen.
Unter dem 27. Februar 2003 schloss die Beklagte mit dem bei ihr bestehenden Personalrat eine "Dienstvereinbarung über die Arbeitszeit" (Bl. 87 ff. d. A.). Danach besteht für die Arbeitnehmer der Verwaltung in der C-Stadt eine Gleitzeitregelung, der zufolge die Arbeit zwischen 7: 00 und 8: 30 Uhr aufgenommen und nachmittags im Zeitraum von 16: 00 bis 18: 30 Uhr b...