Entscheidungsstichwort (Thema)

Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes. Schwellenwert. Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Planmäßige Reduzierung des Beschäftigtenstands. Betriebsstilllegung. Zerschlagungsliquidation. Sonderkündigungsschutz. Beteiligung des Integrationsamts. Sozialauswahl

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Das Kündigungsschutzgesetz ist nicht anwendbar, wenn der Schwellenwert von § 23 Abs. S. 2 KSchG – mehr als fünf vollbeschäftigte Arbeitnehmer – nicht erreicht wird.

2. Auf einen höheren Beschäftigungsstand in der Vergangenheit kommt es nicht an, wenn der Beschäftigungsstand nicht zufällig unter den Schwellenwert absinkt, sondern der Betrieb nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens mit verringerter Belegschaft und temporär begrenzt zur Erledigung von Abwicklungsarbeiten fortgeführt wird, mithin eine planmäßige Reduzierung des Beschäftigungsstands vorliegt.

3. Ist mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens faktisch eine Betriebsstilllegung erfolgt und hat sich der Insolvenzverwalter zur Durchführung einer sog. Zerschlagungsliquidation entschlossen, d.h. wird mit reduziertem Personal die endgültige Liquidation vorgenommen und werden zum Zeitpunkt der Kündigung eines Mitarbeiters nur noch drei weitere Mitarbeiter beschäftigt, kann sich der gekündigte Mitarbeiter nicht auf das Kündigungsschutzgesetz berufen.

 

Normenkette

KSchG § 23 Abs. 1 S. 2, § 1 Abs. 2-3

 

Verfahrensgang

ArbG Mainz (Urteil vom 09.04.2003; Aktenzeichen 4 Ca 1919/02)

 

Tenor

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz vom 09.04.2003 – 4 Ca 1919/02 – wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes und in der Folge um die Sozialwidrigkeit einer ordentlichen Kündigung.

Die Klägerin, die ausgebildete Industriekauffrau ist, war bei der Gemeinschuldnerin vom 1991 bis 1996 und danach wieder ab Ende 1997 – so die Klägerin – bzw. ab 01.06.1998 – so der Beklagte – als Personalsachbearbeiterin tätig. Sie ist am 17.03.1955 geboren, verheiratet und hat ein unterhaltsberechtigtes Kind. Bei ihr liegt eine Schwerbehinderung von 70 % vor. Sie arbeitete als Teilzeitkraft mit 120 Stunden pro Monat in der Mainzer Niederlassung der Gemeinschuldnerin.

Am 31.12.2001 wurde das Insolvenzverfahren eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter bestellt. Mit Ausnahme der Klägerin, den Mitarbeitern X., W. und V. war allen anderen über 100 Mitarbeitern vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens gekündigt worden.

Die Beklagte beantragte beim U. mit Datum vom 10.01.2002 die Zustimmung zur Kündigung. Diese wurde mit Bescheid vom 17.05.2002 erteilt.

Am 11.06.2002 sprach der Beklagte eine ordentliche Kündigung der Klägerin zum 31.07.2002 aus.

Hiergegen richtet sich die am 21.06.2002 vor dem Arbeitsgericht erhobene Klage.

Die Klägerin hat erstinstanzlich vorgetragen,

trotz Insolvenz hätte es für sie ausreichenden Beschäftigungsbedarf über den 31.07.2002 hinaus gegeben. Ihre Betriebszugehörigkeit sei ab dem 01.10.1997 zu berechnen. Sie sei nie mit der Alternative konfrontiert worden, ihre Teilzeitbeschäftigung auf eine Vollzeitbeschäftigung aufzustocken. Die Sozialauswahl sei zu rügen. Außer ihr seien noch Herr X. und Frau W. im Jahr 2002 beschäftigt gewesen.

Die Klägerin hat erstinstanzlich beantragt,

festzustellen, dass die Kündigung des Beklagten vom 11.06.2002 rechtsunwirksam ist und das bestehende Arbeitsverhältnis nicht zum 31.07.2002 auflösen wird.

Der Beklagte hat erstinstanzlich,

Klageabweisung

beantragt und erwidert,

im Rahmen des Insolvenzverfahrens seien außer der Klägerin nur noch zwei weitere Arbeitnehmer beschäftigt worden. Diese habe man zur Abwicklung des Insolvenzverfahrens, wie Einzug offener Posten, Klärung von Personalfragen etc. benötigt. Der Geschäftsbetrieb der Gemeinschuldnerin sei zum 01.01.2002 stillgelegt und alle Niederlassungen geschlossen worden. Die beschäftigten Mitarbeiter seien mit der Klägerin nicht vergleichbar. Der Mitarbeiter V. sei der frühere Franchisebeauftragte der Gemeinschuldnerin gewesen. Die Mitarbeiterin W., die am 20.06.1949 geboren und geschieden sei, weise eine Betriebszugehörigkeit ab 01.10.1998 auf. Sie sei als Buchhaltungskraft in der Zentralverwaltung mit dem allgemeinen Zahlungsverkehr betraut und für die Kreditoren- / Debitorenbuchhaltung sowie die Finanzbuchhaltung zuständig gewesen. Auch mit dem weiteren Mitarbeitern X. sei die Klägerin nicht vergleichbar. Der am 12.07.1959 geborene, getrennt lebende und seiner Ehefrau unterhaltsverpflichtete Mitarbeiter sei seit Oktober 1996 betriebszugehörig. Er sei in der Zentralverwaltung für die Qualitätssicherung und Betreuung der Niederlassung zuständig gewesen.

Das Arbeitsgericht Mainz hat durch Urteil vom 09.04.2003 – 4 Ca 1919/02 – die gegen die ordentliche Kündigung der Beklagten gerichtete Klage abgewiesen, weil das Kündigungsschutzgesetz nicht eingreife. Im ersten Halbjahr 2002 seien außer der Klägerin nur noch Herr V., Herr X. und Frau W. beschäftigt ge...

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