Entscheidungsstichwort (Thema)
Prozessbeendigung durch gerichtlich festgestellten Vergleich. Anfechtung einer Willenserklärung wegen Irrtums. Wegfall der Geschäftsgrundlage nach § 779 Abs. 1 BGB. Nachträglicher Wegfall der Geschäftsgrundlage nach § 313 BGB. Auslegung eines gerichtlich protokollierten Vergleichs
Leitsatz (redaktionell)
1. Haben sich die Prozessparteien auf einen Vergleich verständigt, dies dem Gericht mitgeteilt und um Feststellung des Zustandekommens eines entsprechenden Vergleichs gebeten, kann das Gericht das Zustandekommen und den Inhalt des von den Parteien übereinstimmend vorgeschlagenen Vergleichs durch Beschluss feststellen, § 278 Abs. 6 Satz 2 ZPO. Der Prozess ist damit beendet.
2. Wegen eines Inhaltsirrtums kann seine Willenserklärung nach § 119 Abs. 1 BGB anfechten, wer bei der Abgabe über deren Inhalt im Irrtum war und sie bei Kenntnis der Sachlage und bei verständiger Würdigung des Falles nicht abgegeben hätte. Bei einem Inhaltsirrtum entspricht zwar der äußere Tatbestand dem Willen des Erklärenden, dieser irrt sich jedoch über die Bedeutung oder die Tragweite seiner Erklärung.
3. Nach § 779 Abs. 1 BGB ist ein Vertrag, durch den der Streit oder die Ungewissheit der Parteien über ein Rechtsverhältnis im Wege gegenseitigen Nachgebens beseitigt wird (Vergleich) unwirksam, wenn der nach dem Inhalt des Vertrags als feststehend zugrunde gelegte Sachverhalt der Wirklichkeit nicht entspricht und der Streit oder die Ungewissheit bei Kenntnis der Sachlage nicht entstanden sein würde.
4. Ist einer Partei das unveränderte Festhalten am Vertrag nicht zuzumuten, kann der Vergleich nach § 313 Abs. 1 BGB unter möglichst weitgehender Berücksichtigung des in ihm geregelten Interessenausgleichs den wirklichen bzw. veränderten Verhältnissen angepasst werden. Nur für den Fall, dass die Aufrechterhaltung des Vergleichs mit angepasstem Inhalt nicht möglich oder einer Partei nicht zumutbar ist, soll § 313 Abs. 3 BGB zur Vertragsauflösung führen. Der benachteiligte Teil kann dann vom Vertrag zurücktreten.
5. Vergleiche sind grundsätzlich nicht typische Verträge. Die Auslegung eines Vergleichs richtet sich nach den allgemeinen Regeln der Vertragsauslegung (§§ 133, 157 BGB). Das gilt auch für die Auslegung des materiell-rechtlichen Inhalts eines als Prozessvergleich zu Protokoll des Gerichts geschlossenen Vergleichs.
Normenkette
BGB § 142 Abs. 1, § 313 Abs. 1, 3 S. 1, § 779 Abs. 1; ZPO § 278 Abs. 6 S. 2; BGB § 119 Abs. 1, §§ 133, 157
Verfahrensgang
ArbG Koblenz (Entscheidung vom 15.06.2022; Aktenzeichen 7 Ca 1027/21) |
Tenor
- Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 15. Juni 2022, Az.: 7 Ca 1027/21 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.
- Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob der von ihnen geschlossene gerichtliche Beendigungsvergleich das Kündigungsschutzverfahren beendet hat.
Die Beklagte betreibt bzw. betrieb ein Reisebüro und beschäftigte eine Vollzeit- und zwei Teilzeitkräfte, unter anderem die 1987 geborene und verheiratete Klägerin seit dem 1. Februar 2019 als "Reisebüroexpedientin" in Teilzeit (24 Stunden//Woche) bei einer monatlichen Bruttovergütung in Höhe von 1.475,00 € zuzüglich vermögenswirksamer Leistungen und einem Tankgutschein. Dem Arbeitsverhältnis lag ein Anstellungsvertrag vom 28. Dezember 2018 (Blatt 4 ff. der Akte) zugrunde.
Seit März 2020 bestand für den Betrieb der Beklagten Kurzarbeit. Am 12. November 2020 sprach die Beklagte gegenüber der Klägerin eine ordentliche Kündigung aus. Nachdem die Klägerin Kündigungsschutzklage erhob und der Beklagten mitteilte, dass sie schwanger sei, wurde die Kündigung per arbeitsgerichtlichen Vergleich vom 30. Dezember 2020, Az. 7 Ca 3835/20, im Ergebnis für gegenstandslos erklärt.
Mit Antrag vom 26. Januar 2021 beantragte die Beklagte bei der zuständigen Struktur- und Genehmigungsdirektion die Zustimmung zur beabsichtigten betriebsbedingten Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit der Klägerin.
Anfang Februar 2021 führten die Prozessbevollmächtigten der Parteien Gespräche. Hierbei wurden zunächst die Eckdaten für die (Nach-)Berechnung des Arbeitsentgelts und möglicher Urlaubsansprüche für die Klägerin für das Jahr 2020 besprochen. Des Weiteren wurde die beabsichtigte Beendigung des Arbeitsverhältnisses besprochen. Hierbei teilte der Klägervertreter dem Beklagtenvertreter mit, dass ein Beendigungsvergleich nur im Rahmen eines neuen Kündigungsschutzverfahrens abgeschlossen werden könne und dass insoweit zumindest rein formal auch ein Zustimmungsverfahren bei der Struktur- und Genehmigungsdirektion Nord durchgeführt werden sollte. Bereits im Gespräch am 5. Februar 2021 wurden die Eckdaten für einen möglichen Beendigungsvergleich in einem zukünftigen Kündigungsschutzverfahren besprochen. In den Raum gestellt wurde insoweit eine Abfindung in Höhe von 1.500,00 € brutto bei einer ordentlichen Kündigung sowie eine Freistellung bis zum Beginn des Mutterschutzes für die Klägerin unter gleichze...