Entscheidungsstichwort (Thema)
Berechnung des Urlaubsanspruchs bei unregelmäßiger Arbeitszeit. Geltung von Ausschlussfristen für den Urlaubsabgeltungsanspruch. Fälligkeit des Urlaubsabgeltungsanspruchs. Richtlinienkonforme Auslegung des § 199 Abs. 1 BGB
Leitsatz (amtlich)
1. Der Anspruch eines Arbeitnehmers auf Urlaubsabgeltung kann als reiner Geldanspruch grundsätzlich Ausschlussfristen unterliegen.
2. Ein Anspruch auf Urlaubsabgeltung wird erst dann im Sinne der Ausschlussfrist fällig, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer über seinen konkreten Urlaubsanspruch und die Verfallfristen belehrt.
Leitsatz (redaktionell)
1. Ist die Arbeitszeit im Kalenderjahr ungleichmäßig verteilt, muss zur Erreichung der Gleichwertigkeit des Urlaubs eine Umrechnung dergestalt erfolgen, dass die in § 3 Abs. 1 BUrlG genannten 24 Werktage durch die Zahl der Arbeitstage im Jahr bei einer Sechstagewoche geteilt und mit der Zahl der für den Arbeitnehmer maßgeblichen Arbeitstage im Jahr multipliziert werden.
2. Die Verjährungsfrist von Ansprüchen auf den gesetzlichen Mindesturlaub beginnt bei einer richtlinienkonformen Auslegung des § 199 Abs. 1 BGB erst mit dem Schluss des Kalenderjahres, in dem der Arbeitgeber den Arbeitnehmer über seinen konkreten Urlaubsanspruch und die Verfallfristen belehrt hat. Dies gilt auch für den Urlaubsabgeltungsanspruch.
Normenkette
BUrlG § 3 Abs. 1, § 7 Abs. 4; RL 2003/88/EG Art. 7; GRCh Art. 31 Abs. 2; ZPO § 287; BUrlG §§ 1, 13 Abs. 1; BGB § 199 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Koblenz (Entscheidung vom 01.07.2021; Aktenzeichen 5 Ca 4271/20) |
Tenor
- Auf die Berufung des Klägers wird - unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen - das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 1. Juli 2021, Az. 5 Ca 4271/20, abgeändert und die Beklagte verurteilt, an den Kläger € 862,82 nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 2. Januar 2019 zu zahlen. Die weitergehende Klage wird abgewiesen.
- Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz hat die Beklagte zu tragen. Von den Kosten zweiter Instanz hat der Kläger 15 % und die Beklagte 85 % zu tragen.
- Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten zuletzt über die Abgeltung von 17 Urlaubstagen aus den Jahren 2014 bis 2016.
Der 1991 geborene Kläger war vom 5. April 2014 bis zum 31. Dezember 2018 im Kinocenter der Beklagten als Servicemitarbeiter auf Minijob-Basis beschäftigt. Im schriftlichen Arbeitsvertrag vom 7. April 2014 für "geringfügige Beschäftigung ohne Tarifbindung" haben die Parteien eine Nettovergütung pro Stunde von € 6,20 bei einer zurzeit gültigen Höchstvergütung von € 400,00 brutto im Monat vereinbart. Außerdem wurde geregelt, dass die Arbeitszeit von 64,5 Stunden im Monat bei € 6,20 nicht überschritten werden darf. Ab dem Jahr 2015 zahlte die Beklagte den gesetzlichen Mindestlohn. Der Arbeitsvertrag enthielt ua. folgende Klausel:
"§ 12 Ausschlussfrist
1. Beide Arbeitsvertragsparteien können sämtliche Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis nur schriftlich innerhalb einer Ausschlussfrist von 3 Monaten ab Fälligkeit geltend machen. Ansprüche, die nicht innerhalb dieser Frist geltend gemacht werden, sind ausgeschlossen, es sei denn, dass der Anspruchsberechtigte trotz Anwendung aller ihm nach der Lage der Umstände zuzumutenden Sorgfalt verhindert war, diese Frist einzuhalten.
2. Von dieser Ausschlussfrist werden jedoch Schadensersatzansprüche, die auf vorsätzlichen Handlungen beruhen, nicht erfasst."
Die Beklagte gewährte dem Kläger in den Jahren von 2014 bis 2016 keinen Urlaub. Sie zahlte ihm im Jahr 2014 ein Jahresarbeitsentgelt von € 1.562,40 netto, im Jahr 2015 von € 4.165,00 netto und im Jahr 2016 von € 4.585,75 netto.
Mit Schreiben der Gewerkschaft ver.di vom 27. Dezember 2017 verlangte der Kläger von der Beklagten die Gewährung bzw. Nachgewährung des gesetzlichen Erholungsurlaubs. Er forderte die Beklagte ua. auf, ihm bis zum 12. Januar 2018 Urlaubsentgelt für die Jahre von 2014 bis 2016 in einer Gesamthöhe von € 793,84 netto zu zahlen. Mit Schriftsatz vom 29. Dezember 2020, der am 30. Dezember 2020 beim Arbeitsgericht eingegangen ist, erhob er Zahlungsklage auf Urlaubsabgeltung.
Der Kläger hat erstinstanzlich vorgetragen, er habe durchschnittlich an zwei Tagen in der Woche mit einer Wochenarbeitszeit von 12,5 Stunden gearbeitet und somit pro vollem Beschäftigungsjahr Anspruch auf 8 Urlaubstage, für das Jahr 2014 anteilig auf 6 Urlaubstage erworben. Für 2014 errechne sich aus dem Jahresarbeitsentgelt von € 1.562,40 ein durchschnittlicher Wochenlohn von € 30,02 und damit bei 6 Urlaubstagen ein Abgeltungsanspruch von € 90,06 netto. Für 2015 errechne sich aus dem Jahresarbeitsentgelt von € 4.165,00 ein durchschnittlicher Wochenlohn von € 80,15 und damit ein Abgeltungsanspruch für 8 Urlaubstage von € 320,60 netto. Für 2016 errechne sich aus dem Jahresarbeitsentgelt von € 4.585,75 ein durchschnittlicher Wochenlohn von € 88,25 und damit ein Abgeltungsanspruch für 8 Urlaubstage von € 353,00 netto.
Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,
die ...