Entscheidungsstichwort (Thema)
Wirksamkeit der betriebsbedingten Kündigung des Arbeitsverhältnisses einer Angestellten in einem Biopharmaunternehmen
Leitsatz (redaktionell)
1. Stützt sich der Arbeitgeber zur Rechtfertigung einer betriebsbedingten Kündigung auf den rein innerbetrieblichen Umstand einer gestaltenden Unternehmerentscheidung, so muss er nachvollziehbar darlegen, durch wen, wann und mit welchem Inhalt eine solche Entscheidung getroffen wurde, dass er seinen Entschluss umgesetzt hat und wie sich dies auf Dauer auf welche Beschäftigungsmöglichkeiten in welchem Umfang ausgewirkt hat.
2. Für eine beschlossene und tatsächlich durchgeführte unternehmerische Organisationsentscheidung spricht zunächst die Vermutung, dass sie aus sachlichen Gründen erfolgt ist und kein Rechtsmissbrauch vorliegt. Den Arbeitnehmer trifft deshalb die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die fragliche innerbetriebliche Maßnahme in diesem Sinne offenbar unsachlich, unvernünftig oder willkürlich ist.
3. Ist zwar das Vorliegen einer Unternehmerentscheidung bei Ausspruch der Kündigung und der Beginn ihrer Umsetzung ebenso wie ihre organisatorische Durchführbarkeit und Nachhaltigkeit nachvollziehbar und hinreichend substantiiert dargelegt worden, so erweist sich eine Beendigungskündigung gleichwohl als unverhältnismäßig, wenn der Arbeitgeber von einer vorrangig auszusprechenden Änderungskündigung nicht Gebrauch gemacht hat. Denn eine Dringlichkeit der betriebsbedingten Gründe i.S. von § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG liegt nicht vor, wenn die Möglichkeit besteht, den Arbeitnehmer auf einem anderen freien Arbeitsplatz zu geänderten Arbeitsbedingungen weiter zu beschäftigen. Dies hat der Arbeitgeber von sich aus anzubieten.
4. Eine Arbeitnehmerin, die weder zur Einstellung und Entlassung von Mitarbeitern i.S. von § 5 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 BetrVG befugt ist, noch über eine Vollmacht i.S. von § 5 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 BetrVG verfügt, kann nur dann als leitende Angestellte angesehen werden, wenn sie regelmäßig sonstige Aufgaben wahrnimmt, die für den Bestand und die Entwicklung des Unternehmens oder eines Betriebs von Bedeutung sind und deren Erfüllung besondere Erfahrungen und Kenntnisse voraussetzt, wobei die leitende Angestellte entweder die Entscheidung im Wesentlichen frei von Weisungen trifft oder sie maßgeblich beeinflusst (hier: verneint).
Normenkette
ArbGG § 67 Abs. 4 S. 2; BetrVG § 102 Abs. 2 S. 1, § 5 Abs. 3 S. 2 Nr. 3; KSchG § 1 Abs. 2, §§ 2, 1 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Ludwigshafen (Entscheidung vom 14.03.2019; Aktenzeichen 8 Ca 1751/18) |
Tenor
- Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen am Rhein vom 14. März 2019 - 8 Ca 1751/18 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
- Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer arbeitgeberseitigen Kündigung.
Die Klägerin (geb. 1963, verheiratet, zwei unterhaltsberechtigte Kinder) war bei der Beklagten seit dem 1. Juli 1999 beschäftigt, zuletzt auf der Grundlage des Arbeitsvertrags vom 22. Januar 2014 (Bl. 4 ff. d.A) als HEOR Area Project Director WEC am Standort L. bei einem durchschnittlichen Bruttomonatsgehalt von 28.000,- Euro (Bl. 209 d.A). Die Abkürzung HEOR steht für Health Economics and Outcomes Research / Gesundheitsökonomie und Ergebnisforschung; die Abkürzung WEC bezeichnet das Gebiet Western Europe and Canada.
Die beklagte Kommanditgesellschaft mit Sitz in C-Stadt ist ein BioPharma-Unternehmen, welches auf die Erforschung und Entwicklung verschreibungspflichtiger Arzneimittel für Immunologie, Virologie, Onkologie und Neurologie spezialisiert ist und seine Medikamente weltweit vertreibt. Die Beklagte gehört dem A. Konzern an, dessen Muttergesellschaft in C. (USA) ansässig ist (Bl. 30 d.A). Bei der Beklagten sind regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer beschäftigt; am Standort L. bestehen ein Betriebsrat und ein Sprecherausschuss (Bl. 3 d.A).
Im Jahr 2014 wurden im Bereich HEOR neue Strukturen und die Position des HEOR Area Project Direktor WEC geschaffen, weil die steigende Anzahl von Produkteinführungen und immer komplexer werdende Erstattungssysteme einen höheren Beratungs- und Unterstützungsbedarf der einzelnen Länder in der Region Westeuropa und Kanada bedingten (Bl. 32 d.A).
Im Arbeitsvertrag der Parteien vom 22. Januar 2014 heißt es, soweit hier von Bedeutung (Bl. 4 d.A):
"II. Vertragsbeginn/Tätigkeit und Aufgabengebiet
Der Angestellte tritt mit Wirkung
vom 01.01.2014
als Area HEOR Director WEC/EMEA
in die Abteilung GGDH, Global HEOR
in den Dienst des Arbeitgebers.
Beschäftigungsort ist L.
Der Arbeitgeber behält sich vor, dem Angestellten innerhalb des Betriebes im Rahmen des Zumutbaren eine andere seiner Kenntnisse und Erfahrungen entsprechende gleichwertige Tätigkeit zu übertragen.
Der Angestellte nimmt aufgrund seiner betrieblichen Stellung und seines Anstellungsvertrages im Wesentlichen eigenverantwortlich Aufgaben war, die für den Bestand und für die Entwicklung des Unternehmens von Bedeutung sind und deren Erfüllung bes...