Entscheidungsstichwort (Thema)
Kündigung. Massenentlassungsanzeige. Unwirksamkeit. Unwirksamkeit der Kündigung wegen unwirksamer Massenentlassungsanzeige
Leitsatz (amtlich)
Der Arbeitgeber genügt seiner Anzeigepflicht nach § 17 KSchG nur durch eine wirksame Massenentlassungsanzeige. Eine Massenentlassungsanzeige, die als Anzahl der regelmäßig beschäftigten Arbeitnehmer 20 angibt, obwohl tatsächlich regelmäßig 22 Arbeitnehmer beschäftigt werden, ist unwirksam, da im vorliegenden Fall die Agentur für Arbeit durch die fehlerhafte Angabe in ihrer sachlichen Prüfung beeinflusst wurde. Eine nach Erstattung einer nur unwirksamen Anzeige ausgesprochene Kündigung ist rechtsunwirksam.
Normenkette
BGB § 134; KSchG § 1 Abs. 1-2, § 15 Abs. 1, 4, §§ 17-18
Verfahrensgang
ArbG Ludwigshafen (Urteil vom 30.07.2010; Aktenzeichen 7 Ca 674/10) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen am Rhein vom 30.07.2010, Az.: 7 Ca 674/10 teilweise abgeändert:
Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 17.03.2010 nicht aufgelöst worden ist.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Beklagte zu ¾ und der Kläger zu ¼.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der am 16.05.1960 geborene, verheiratete Kläger ist seit dem 29.09.2002 bei der Beklagten als Drucker zu einer Bruttomonatsarbeitsvergütung in Höhe von 2.885,85 EUR beschäftigt. Die Beklagte beschäftigte regelmäßig 22 Arbeitnehmer. Bei ihr bestand ein Betriebsrat, dessen Vorsitzender der Kläger war.
Die Gesellschafter der Beklagten fassten aufgrund deren defizitärer Ertragssituation am 04.09.2009 den Beschluss, die Beklagte spätestens bis zum 31.08.2010 stillzulegen. Unter dem 11.03.2010 wurden hierzu ein Interessenausgleich sowie ein Sozialplan abgeschlossen (Bl. 41 ff. d. A.). Ausweislich des Interessenausgleichs einigten sich die Betriebsparteien als Stilllegungsdatum auf den 30.06.2010. Die Beklagte hat zu diesem Datum ihre betriebliche Tätigkeit eingestellt.
Einen Kilometer von der Beklagten entfernt befindet sich die Fa. X. Druck und Verlag, deren Produkte teilweise durch die Beklagte bearbeitet wurden.
Die Beklagte hörte ausweislich ihres Schreibens gem. Bl. 46 d. A. den Betriebsrat u. a. zu der beabsichtigten Kündigung des Klägers an. Unter dem 15.03.2010 (Bl. 47 f. d. A.) widersprach der Betriebsrat der beabsichtigten Kündigung.
Unter dem 17.03.2010 erstattete die Beklagte gegenüber der Agentur für Arbeit eine Anzeige von Entlassungen gem. § 17 KSchG (Bl. 329 ff. d. A.). Sie gab hierbei unter der Rubrik „Zahl der in der Regel beschäftigten Arbeitnehmer” die Zahl 20 an. Mit Schreiben vom 18.03.2010 (Bl. 327 d. A.) bestätigte die Agentur für Arbeit den Eingang der Anzeige am 18.03.2010, wies auf die in § 18 Abs. 1 KSchG festgesetzte Frist hin und führte aus, dass der Entscheidungsträger bestimmen könne, dass die Kündigungen nicht vor Ablauf von längstens zwei Monaten nach Eingang der Anzeige bei der Agentur für Arbeit wirksam werden und dass die Entscheidung schriftlich mitgeteilt werde. Mit Schreiben ebenfalls vom 18.0.2010 (Bl. 328 d. A.) teilte die Agentur für Arbeit mit, dass der Betrieb lediglich 20 Arbeitnehmer beschäftige und folglich Entlassungen nicht anzuzeigen seien und Kündigungen auch ohne Entlassungsanzeige nach § 17 KSchG wirksam seien.
Mit Schreiben vom 17.03.2010 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis des Klägers ordentlich zum 30.06.2010. Zwischen den Parteien ist streitig, ob dieses Kündigungsschreiben dem Kläger am 17.03. oder erst am 18.03.2010 zugegangen ist.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des unstreitigen Sachverhalts sowie des streitigen Vorbringens der Parteien erster Instanz wird gem. § 69 Abs. 2 ArbGG Bezug genommen auf das Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen am Rhein vom 30.07.2010, Az.: 7 Ca 674/10 (Bl. 113 ff. d. A.).
Durch das genannte Urteil hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung – zusammengefasst – ausgeführt:
Die Kündigung sei unter dem Gesichtspunkt der Betriebsstilllegung sozial gerechtfertigt nach § 1 Abs. 2 KSchG. Der Stilllegungsbeschluss habe zum Zeitpunkt der streitgegenständlichen Kündigung bereits greifbare Formen angenommen. Da sämtlichen Arbeitnehmern gekündigt worden sei, erübrige sich auch die Durchführung einer Sozialauswahl. In diese seien auch nicht die Arbeitnehmer der Fa. X Druck und Verlag einzubeziehen. Es könne nicht davon ausgegangen werden, dass zwischen dieser Firma und der Beklagten ein Gemeinschaftsbetrieb bestehe. Auch bestünden keine Anhaltspunkte dafür, dass der Wirksamkeit der Kündigung die Entlassungssperre des § 18 KSchG entgegenstehe, da die Beklagte die Agentur für Arbeit ausweislich des vorgelegten Schreibens vom 18.03.2010 (Bl. 104 d. A.) rechtzeitig über die beabsichtigten Entlassungen unterrichtet habe.
Das genannte Urteil ist dem Kläger am 16.11.2010 zugestellt worden. Er hat hiergegen mit einem am 15.12.2010 b...