Entscheidungsstichwort (Thema)
Ordentliche Kündigung bei Tätlichkeit gegenüber einem Vorgesetzten nach Antreffen des arbeitsunfähig krankgeschriebenen Arbeitnehmers in einer öffentlichen Autowaschanlage
Leitsatz (redaktionell)
1. Ein tätlicher Angriff auf einen Vorgesetzten oder einen Arbeitskollegen ist eine schwerwiegende Verletzung der arbeitsvertraglichen Nebenpflichten des Arbeitnehmers.
2. Bei Tätlichkeiten gegenüber einem Vorgesetzten oder einem Arbeitskollegen bedarf es vor Ausspruch einer Kündigung regelmäßig keiner Abmahnung; da der Arbeitnehmer von vornherein weiß, dass die Arbeitgeberin ein derartiges Fehlverhalten missbilligt, gilt dies uneingeschränkt bei schweren Tätlichkeiten, bei denen schon ein einmaliger Vorfall einen wichtigen Grund zur Kündigung darstellen kann, ohne dass die Arbeitgeberin noch eine Wiederholungsgefahr begründen und den Arbeitnehmer zuvor abmahnen muss.
3. Trifft ein Vorgesetzter den arbeitsunfähig krankgeschriebenen Arbeitnehmer zufällig beim Ausklopfen von Fußmatten an einer öffentlichen Autowaschanlage und macht der Arbeitnehmer auf seinen Vorgesetzten einen körperlich gesunden Eindruck, stellt die Speicherung von Fotos auf der Handykamera des Vorgesetzten über punktuelle persönliche Beobachtungen keinen unverhältnismäßigen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers dar, wenn aus Sicht des Vorgesetzten der konkrete Verdacht besteht, dass der Arbeitnehmer seine Arbeitsunfähigkeit vorgetäuscht und damit einen Entgeltfortzahlungsbetrug begangen haben könnte.
4. Drückt der Arbeitnehmer seinen Vorgesetzten, der ihn beim Ausklopfen der Fußmatten mit der Handykamera fotografiert, mit seinem Körper zu Boden, so dass er hinfällt, ist dieser vorsätzliche tätliche Angriff auf den Vorgesetzten nicht gerechtfertigt und geeignet, eine ruhig und verständig urteilende Arbeitgeberin (zumindest) zu einer ordentlichen Kündigung zu bestimmen.
Normenkette
BGB § 227; KSchG § 1 Abs. 2; StGB § 32; KSchG § 1 Abs. 2 S. 1 Alt. 2; BGB § 241 Abs. 2, § 611 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Kaiserslautern (Entscheidung vom 22.08.2013; Aktenzeichen 2 Ca 436/13) |
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Kaiserslautern vom 22. August 2013, Az. 2 Ca 436/13, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten zweitinstanzlich noch über die Wirksamkeit einer hilfsweise erklärten ordentlichen Kündigung wegen tätlichen Angriffs auf einen Vorgesetzten.
Der Kläger (geb. 1974, ledig, kinderlos) war seit dem 06.12.2000 bei der Beklagten als Produktionshelfer im Schichtbetrieb zu einem Bruttomonatsentgelt von ca. € 2.000,00 beschäftigt. Die Beklagte beschäftigt ca. 450 Arbeitnehmer; es besteht ein Betriebsrat.
Der Kläger war im Jahr 2012 an 61 Tagen arbeitsunfähig krankgeschrieben. Am 09.11.2012 fand ein Fehlzeitengespräch statt, an dem auch sein Vorgesetzter, der Abteilungsleiter K., teilgenommen hat. Der Kläger soll seine Fehlzeiten ua. mit einer Schultererkrankung erklärt haben, was er bestreitet. Am 29.01.2013 erteilte die Beklagte dem Kläger eine Abmahnung wegen Unpünktlichkeit, am 11.03.2013 erteilte sie ihm eine weitere Abmahnung wegen verspäteter Anzeige der Arbeitsunfähigkeit. Der Kläger war vom 25.02. bis 08.03.2013 und dann bis 13.03.2013 von seinem Hausarzt arbeitsunfähig krankgeschrieben. Für die Zeit vom 12.03. bis 27.03.2013 erfolgte die Krankschreibung durch einen Neurologen. In einer nervenärztlichen Stellungnahme zur Vorlage bei Gericht vom 19.08.2013 führt der behandelnde Facharzt für Neurologie und Psychiatrie aus, dass sich der Kläger seit 12.03.2013 in seiner regelmäßigen Behandlung befinde. Er leide unter einem depressiven Syndrom, die jetzige Symptomatik resultiere aus einem Arbeitsplatzkonflikt.
Am Samstag, dem 16.03.2013, traf der Vorgesetzte den Kläger gegen 10:00 Uhr an einer Autowaschanlage in Kaiserslautern an. Der Kläger reinigte gemeinsam mit seinem Vater ein Kraftfahrzeug. Der Vorgesetzte beobachtete den Kläger dabei, dass er Fußmatten mit Schwung gegen ein Metallgitter schlug, um diese auszuklopfen. Er war über die körperliche Verfassung des krankgeschriebenen Klägers erstaunt und fertigte mit seiner Handykamera Fotos, um seine Beobachtung zu dokumentieren.
Es kam zu einer - auch körperlichen - Auseinandersetzung zwischen dem Kläger und seinem Vater mit dem Vorgesetzten. Der Hergang wird unterschiedlich dargestellt. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger wegen tätlichen Angriffs auf seinen Vorgesetzten mit Schreiben vom 23.03.2013 fristlos, hilfsweise fristgerecht zum 31.08.2013. Mit Schreiben vom 11.04.2013 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis erneut fristlos, hilfsweise fristgerecht zum 30.09.2013. Der Betriebsrat gab in den Anhörungsverfahren keine Stellungnahme ab.
Gegen diese Kündigungen wendet sich der Kläger mit seiner am 28.03.2013 beim Arbeitsgericht eingegangenen und am 18.04.2013 erweiterten Klage. Von einer weitergehenden Darstellung des unstreitigen Tatbest...