Entscheidungsstichwort (Thema)
Besitzstandszulage. Tarifautonomie. Gleichbehandlung. Befristetes Arbeitsverhältnis
Leitsatz (amtlich)
Die Tarifvertragsparteien sind wegen Art. 1 III GG nicht unmittelbar an die Grundrechte gebunden. Sie üben kollektiv die Privatautonomie aus. Mangels unmittelbarer Bindung aus Art. 3 I GG sind die Tarifvertragsparteien somit gestützt auf Art. 9 III GG bis zur Willkürgrenze frei, selbst den persönlichen Geltungsbereich ihrer Tarifregelung zu bestimmen. Die Tarifvertragsparteien können im Rahmen des finanziellen Gesamtvolumens nur den unbefristet Beschäftigten einen Ausgleich für die zu erwartenden Lohneinbußen gewähren. Im Rahmen des den Tarifvertragsparteien zukommenden Gestaltungs- und Ermessensspielraums ist eine Differenzierung zwischen befristet und unbefristet Beschäftigten zulässig, soweit dies sachlich gerechtfertigt ist. Stichtagsregelungen sind zu Lasten der Einzelfallgerechtigkeit generell zu akzeptieren. Eine Einbeziehung der befristet Beschäftigten in eine Besitzstandszulage aufgrund einer Stichtagsregelung ist daher nicht zwingend geboten.
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Tarifvertragsparteien sind nicht unmittelbar an die Grundrechte gebunden. Sie sind gestützt auf Art. 9 Abs. 3 GG bis zur Willkürgrenze frei, selbst den persönlichen Geltungsbereich ihrer Tarifregelung zu bestimmen.
2. Eine Differenzierung der Zulagengewährung ist im Rahmen der den Tarifvertragsparteien zukommenden Einschätzungsprärogative generell zulässig, sofern sie sachlich gerechtfertigt ist. Im Rahmen des finanziellen Gesamtvolumens können die Tarifvertragsparteien nur den unbefristet beschäftigt einen Ausgleich für die zu erwartenden Lohneinbußen gewähren. Stichtagsregelungen zu Lasten der Einzelfallgerechtigkeit sind generell zu akzeptieren. Der Gesetzgeber verbietet nicht eine Differenzierung zwischen befristet und unbefristet beschäftigten Arbeitnehmern, sondern nur die Ungleichbehandlung ohne sachlichen Grund.
Normenkette
GG Art. 3 Abs. 1, Art. 9 Abs. 3; TzBfG § 4 Abs. 2 S. 1, § 22 Abs. 1; BeschFG 1985 §§ 2, 6
Verfahrensgang
ArbG Saarbrücken (Urteil vom 19.04.2002; Aktenzeichen 6c Ca 218/01) |
Nachgehend
Tenor
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Saarbrücken vom 19.4.2002, Az. 6c Ca 218/01, wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.
2. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Verpflichtung der Beklagten, der Klägerin eine tarifvertragliche Besitzstandszulage zu zahlen.
Die Klägerin ist als Arbeiterin bei der Beklagten in der Niederlassung Produktion BRIEF Saarbrücken seit dem 5.6.2000, zunächst aufgrund mehrfacher Befristungen, zuletzt durch Vertrag vom 28.11.2000 vom 1.12.2000 bis 31.5.2001 befristet, seit dem 1.6.2001 unbefristet mit einer regelmäßigen durchschnittlichen wöchentlichen Arbeitszeit von 14 Stunden, zuvor von 12 Stunden, beschäftigt (vgl. Bl. 48 d.A.). Es wurde vereinbart, dass die Tarifverträge für die Arbeiter der Deutschen Post AG in ihrer jeweiligen Fassung gelten.
Die Beklagte schloss im April 2000 mit der Deutschen Postgewerkschaft den Tarifvertrag Nr. 75 d, der ab 1. Januar 2000 seine Wirkung entfalten sollte. Darin wurde die Einführung eines neuen Entlohnungssystems vereinbart. Die Eckpunkte des Tarifvertrages wurden im Wege eines gegenseitigen Gebens und Nehmens erzielt. Die Beklagte verzichtete u. a. auf betriebsbedingte Beendigungskündigungen bis Ende 2004, schloss die sog. Fremdvergabe von Zustellbezirken an Drittfirmen bis Ende 2003 aus und verpflichtete sich zur Einstellung von weiteren 1.200 Arbeitskräften. Auf der anderen Seite erklärte sich die Deutsche Postgewerkschaft mit der Einführung eines leistungsbezogenen Entlohnungssystems einverstanden, was bei den Beschäftigten der Beklagten zu einer deutlichen Einkunftsverminderung geführt hat. Die durch die Einführung des neuen Entlohnungssystems entstandene Lohndifferenz soll durch die Zahlung der sog. Besitzstandszulagen gemäß §§ 24, 25 des Tarifvertrages Nr. 75 d Dritter Teil-Entgelttarifvertrag der Arbeiter (im folgenden ETV-Arb. genannt)– ausgeglichen werden.
Die Besitzstandszulagen sollen gemäß § 23 ETV-Arb. nicht sämtlichen Mitarbeitern zustehen. Vielmehr bestimmt § 23 ETV-Arb.:
§ 23
Geltungsbereich für § 24 und § 25
Für die Arbeiter, die am 31.12.2000 bereits und am 01.01.2001 noch in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis zur Deutschen Post AG standen und stehen, finden die Regelungen der §§ 24 und 25 für die Dauer dieses Arbeitsverhältnisses Anwendung.
Mit der am 6. November 2001 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage begehrt die Klägerin die Feststellung, dass ihr die Besitzstandszulagen gemäß §§ 24, 25 ETV-Arb. jeweils ab 1. Januar 2001 monatlich zu zahlen sind, wobei ihre monatliche Vergütungsminderung in etwa 100,– Euro beträgt.
Die Beklagte ist bereit, eine rechtskräftige Feststellung zu akzeptieren und gegebenenfalls entsprechend abzurechnen.
Die Klägerin vertrat die Ansicht, dass § 23 ETV-Arb. so...