Entscheidungsstichwort (Thema)
Verstoß des Aushandelns günstigerer Bedingungen für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses eines Betriebsratsmitglieds gegen das Verbot der unzulässigen Begünstigung
Leitsatz (amtlich)
Eine nach § 78 Satz 2 BetrVG unzulässige Begünstigung des Betriebsratsmitglieds liegt nicht schon deshalb vor, weil das Mitglied des Betriebsrats wegen des ihm nach den §§ 15 Absatz 1 KSchG, 103 BetrVG zukommenden Sonderkündigungsschutzes im Rahmen eines Aufhebungsvertrages, der vor dem Hintergrund einer von dem Arbeitgeber beabsichtigten außerordentlichen verhaltensbedingten Kündigung geschlossen wird, günstigere Bedingungen für die Beendigung seines Arbeitsverhältnisses aushandeln kann als ein Arbeitnehmer ohne einen solchen Sonderkündigungsschutz.
Normenkette
BetrVG § 78 S. 2
Verfahrensgang
ArbG Saarbrücken (Entscheidung vom 13.03.2015; Aktenzeichen 3 Ca 845/14) |
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das am 13. März 2015 verkündete Urteil des Arbeitsgerichts Saarbrücken (3 Ca 845/14) wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob das Arbeitsverhältnis zwischen ihnen durch einen Aufhebungsvertrag, den sie am 22. Juli 2013 außergerichtlich geschlossen haben, mit Wirkung zum Ablauf des 31. Dezember 2015 beendet worden ist.
Der 1962 geborene Kläger war seit dem 18. März 1983 bei der Beklagten beschäftigt. Seit dem Jahr 1990 war er Mitglied des Betriebsrats, seit dem Jahr 2006 war er freigestellter Betriebsratsvorsitzender. Sein monatliches Bruttogehalt belief sich Mitte des Jahres 2013 auf 4.961,26 EUR.
Mit einem Schriftsatz vom 9. Juli 2013 (Blatt 1 bis 67 der Akten des Beschlussverfahrens bei dem Arbeitsgericht Saarbrücken mit dem Aktenzeichen 3 BV 15/13) leitete die Beklagte bei dem Arbeitsgericht Saarbrücken ein Beschlussverfahren ein, mit dem sie erreichen wollte, dass die Zustimmung des Betriebsrates zur außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger ersetzt wird. Anlass dafür war der Vorwurf der Beklagten, der Kläger habe in der zweiten Jahreshälfte 2012 und in der ersten Jahreshälfte 2013 eine ihm unterstellte Mitarbeiterin, die für den Betriebsrat tätige Sekretärin beziehungsweise Assistentin, sexuell belästigt. Erhoben wurde von der Beklagten darüber hinaus der Vorwurf des Stalking gegenüber der Mitarbeiterin. Vorgeworfen wurde dem Kläger in dem Verfahren von der Beklagten schließlich auch, dass er insbesondere aufgrund seines Verhaltens gegenüber der Mitarbeiterin sonstige arbeitsvertragliche Pflichten verletzt habe. Um ihre Darstellung zu stützen, legte die Beklagte in dem Beschlussverfahren eine eidesstattliche Erklärung der Mitarbeiterin (Blatt 68 bis 89 der Akten des Beschlussverfahrens) einschließlich einer Vielzahl von Kurznachrichten (SMS, WhatsApp-Nachrichten und eMails) vor, die der Kläger an die Mitarbeiterin gerichtet habe (Blatt 90 bis 140 der Akten des Beschlussverfahrens).
Bereits vor Einleitung des genannten Beschlussverfahrens, nämlich Ende Juni 2013, hatte die Beklagte dem Kläger unter Hinweis auf die Sachverhalte, die ihr von der Mitarbeiterin geschildert worden seien, ein Hausverbot und Werksverbot erteilt. Dagegen wandten sich der Kläger und der Betriebsrat mit einem am 9. Juli 2013 bei dem Arbeitsgericht Saarbrücken eingegangenen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung (Blatt 1 bis 8 der Akten des Beschlussverfahrens bei dem Arbeitsgericht Saarbrücken mit dem Aktenzeichen 4 BVGa 2/13). Als Anlage beigefügt war der Antragsschrift unter anderem eine vom 5. Juli 2013 datierende Stellungnahme der von dem Kläger beauftragten Rechtsanwälte, mit der diese für den Kläger geltend machten, dass es zu keinem Zeitpunkt zu Annäherungen oder körperlichen Kontakten zwischen dem Kläger und der Mitarbeiterin gekommen sei, die gegen deren Willen erfolgt wären (Blatt 15 bis 18 der Akten des Beschlussverfahrens). Um diese Darstellung zu stützen, war der Antragsschrift außerdem eine eidesstattliche Erklärung des Klägers beigefügt (Blatt 21 und 22 der Akten des Beschlussverfahrens).
Kurz darauf, nämlich mit einem am 10. Juli 2013 bei dem Arbeitsgericht Saarbrücken eingegangenen Schriftsatz, hat die Beklagte beantragt, den Kläger aus dem Betriebsrat auszuschließen. Gestützt war dieser Antrag darauf, dass der Kläger unter Missbrauch seines Amtes als Betriebsratsmitglied die Mitarbeiterin sexuell belästigt, ihr nachgestellt und diese unter Druck gesetzt habe, mit ihm eine sexuelle Beziehung aufzunehmen, sowie darauf, dass zwischenzeitlich auch eine Belegschaftsversammlung stattgefunden habe, in der der Kläger einseitig seine Sicht der Dinge dargestellt habe. Dieser Antrag der Beklagten war Gegenstand des bei dem Arbeitsgericht Saarbrücken unter dem Aktenzeichen 1 BV 16/13 geführten Beschlussverfahrens.
Mit einem weiteren am 16. Juli 2013 bei dem Arbeitsgericht Saarbrücken eingegangenen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung versuchte die Beklagte sodann ...