Entscheidungsstichwort (Thema)

Richtlinienkonforme Auslegung des § 1078 Abs. 1 Satz 2 ZPO. Gebot der Rücksichtnahme im Prozesskostenhilfeverfahren

 

Leitsatz (amtlich)

§ 1078 Abs. 1 Satz 2 ZPO ist richtlinienkonform dahin auszulegen, dass die um Prozesskostenhilfe nachzusuchende Partei auch im Falle einer Antragstellung unmittelbar bei dem Prozessgericht nicht verpflichtet ist, dem Gericht auf eigene Kosten Übersetzungen der von ihr eingereichten fremdsprachigen Prozesskostenhilfeunterlagen vorzulegen (BGH 03.07.2018 - VIII 2 R 229/17).

 

Leitsatz (redaktionell)

Im Prozesskostenhilfeverfahren gilt das Gebot der Rücksichtnahme in besonderem Maße. Da dieses Verfahren den grundgesetzlich gebotenen Rechtsschutz nicht selbst bietet, sondern erst zugänglich macht, dürfen die Anforderungen - sowohl an den Vortrag der Beteiligten als auch bei der Prüfung der wirtschaftlichen Verhältnisse - nicht überspannt werden.

 

Normenkette

ZPO § 114 Abs. 1 S. 2, § 1078; RL 2003/8/EG Art. 2-3, 7-8, 12-13; ZPO § 115

 

Verfahrensgang

ArbG Magdeburg (Entscheidung vom 07.11.2022; Aktenzeichen 3 Ca 1494/22)

 

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Magdeburg vom 07.11.2022 in der Fassung des Nichtabhilfebeschlusses vom 15.11.2022 - 3 Ca 1494/22 - abgeändert.

Dem Kläger wird mit Wirkung vom 25.08.2022 für die erste Instanz Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt Z... aus E... bewilligt.

Die Bewilligung erfolgt mit der Maßgabe, dass der Kläger keine monatlichen Raten zu leisten hat.

 

Gründe

A.

Der Kläger ist wohnhaft in K./Polen. Mit seiner am 24.08.2022 bei dem Arbeitsgericht Magdeburg eingereichten Klage hat der Kläger Kündigungsschutzklage gegen eine Kündigung der Beklagten vom 27.07.2022 erhoben. Zur Rechtsverfolgung dieser Klage hat der Kläger mit am 25.08.2022 bei dem Arbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt Z... beantragt. Mit diesem Antrag hat der Kläger eine von ihm unterzeichnete Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse eingereicht.

Mit Verfügung vom 04.10.2022 hat das Arbeitsgericht einen Hinweis zum Stand des PKH-Verfahrens an den Klägervertreter gegeben. Dabei hat das Arbeitsgericht bemängelt, dass Belege/Unterlagen nicht in deutscher Sprache vorliegen, das angegebene Einkommen weder nachvollziehbar noch belegt sei, die angegebenen Wohnkosten weder nachvollziehbar noch belegt seien und die Kreditrate nicht belegt sei. Das Arbeitsgericht hat eine Frist zur Nachbesserung von einem Monat gesetzt.

Nachdem auf das Gerichtsschreiben vom 04.10.2022 keine Reaktion erfolgte, hat das Arbeitsgericht mit Beschluss vom 07.11.2022 den Antrag auf Prozesskostenhilfe und Beiordnung zurückgewiesen. Zur Begründung seiner Entscheidung hat das Arbeitsgericht ausgeführt, der Kläger habe seine Mitwirkungspflicht zur Feststellung seiner Bedürftigkeit nicht erfüllt.

Gegen den dem Klägervertreter am 14.11.2022 zugestellten Beschluss wendet sich seine am 14.11.2022 beim Arbeitsgericht Magdeburg eingegangene sofortige Beschwerde.

Mit Beschluss vom 15.11.2022 hat das Arbeitsgericht der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und diese dem Landesarbeitsgericht zur Entscheidung vorgelegt.

Mit Verfügung vom 05.12.2022 hat die Bezirksrevisorin bei dem Landesarbeitsgericht Sachsen-Anhalt zur sofortigen Beschwerde Stellung genommen (wegen des Inhalts der Stellungnahme der Bezirksrevisorin bei dem Landesarbeitsgericht Sachsen-Anhalt wird auf Blatt 40 und 40 R. des Beiheftes Prozess-/Verfahrenskostenhilfe Bezug genommen).

Am 21.11.2022 hat der Kläger weitere Unterlagen zu seinem Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe beim Arbeitsgericht Magdeburg eingereicht. Mit Verfügung vom 22.11.2022 hat das Arbeitsgericht diese Unterlagen an das Landesarbeitsgericht weitergesendet. Mit Schriftsatz vom 14.12.2022 hat der Klägervertreter abschließend Stellung genommen (Bl. 54, 55 des Beiheftes Prozess-/Verfahrenskostenhilfe).

B.

Die sofortige Beschwerde des Klägers ist zulässig und begründet.

I.

Die sofortige Beschwerde des Klägers ist zulässig. Es handelt sich um das gemäß §§ 127 Abs. 2 Satz 2, 567 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthafte Rechtsmittel. Der Kläger hat die einmonatige Notfrist des § 127 Abs. 2 Satz 3 ZPO gewahrt.

Die fehlende Begründung der Beschwerde steht der Zulässigkeit nicht entgegen. Zwar soll gemäß § 571 Abs. 1 ZPO die Beschwerde begründet werden. Eine unterlassene Begründung führt jedoch nicht per se zur Unzulässigkeit der sofortigen Beschwerde wie sich aus § 572 Abs. 2 ZPO ergibt. Die dort geregelte Verwerfung der Beschwerde als unzulässig umfasst nicht eine unterlassene Beschwerdebegründung.

II.

Die sofortige Beschwerde des Klägers ist auch begründet. Gemäß § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf ihren Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bie...

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