Entscheidungsstichwort (Thema)

Prozessvollmacht nach § 81 ZPO für das Prozesskostenhilfeverfahren. Beschränkung der Anwaltsvollmacht als überraschende Klausel. Beiordnung eines Rechtsanwalts im Prozesskostenhilfeverfahren

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Das Prozesskostenhilfeverfahren erstreckt sich auch auf die nachträgliche Überprüfung der persönlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen der Prozesskostenhilfe nach § 120 Abs. 4 ZPO und auf die Tatbestände für eine nachträgliche Aufhebung einer bereits bewilligten Prozesskostenhilfe nach § 124 ZPO. Der Umfang der Prozessvollmacht richtet sich nach § 81 ZPO, der auch für das Prozesskostenhilfeverfahren gilt.

2. Die Beschränkung des Anwaltsmandats in Prozesskostenhilfeangelegenheiten im Vollmachtsformular ist ungewöhnlich und überraschend i.S.v. § 305c Abs. 1 BGB. Der Vertragspartner des Verwenders braucht nicht mit einer solchen Vorschrift zu rechnen. Es besteht ein besonderes Interesse gerade einer Prozesskostenhilfepartei, dass das gesamte Prozesskostenhilfeverfahren in den Händen ihres Prozessbevollmächtigten zusammengeführt wird.

3. Die Beiordnung eines Rechtsanwalts begründet für ihn die öffentlich-rechtliche Pflicht zum Abschluss des Vertretungsvertrags. Die Übernahme wird zur Berufspflicht, aufgrund derer sich der Rechtsanwalt seiner Mandantschaft im Umfang seiner Beiordnung zur Prozessvertretung zur Verfügung stellen muss.

 

Normenkette

ZPO § 124 Abs. 1 Nr. 5, § 172 Abs. 1, § 119 Abs. 1 S. 1, § 120 Abs. 4, § 121; RVG § 3a Abs. 1 S. 2; BRAO § 48 Abs. 1 Nr. 1; BGB § 305c Abs. 1, § 307 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Halle (Entscheidung vom 02.05.2022; Aktenzeichen 6 Ca 1599/19)

 

Tenor

Die sofortige Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Halle vom 02.05.2022 in der Fassung des Nichtabhilfebeschlusses vom 27.07.2022 - 6 Ca 1599/19 (PKH) - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

 

Gründe

A.

Die Klägerin wendet sich gegen die Aufhebung des ihr durch Beschluss des Arbeitsgerichts vom 25.10.2019 bewilligte Prozesskostenhilfe.

Mit Beschluss vom 25.10.2019 hat das Arbeitsgericht der Klägerin Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung bewilligt und ihr Rechtsanwalt L... W... aus M... beigeordnet.

Auf die sofortige Beschwerde der Bezirksrevisorin bei dem Landesarbeitsgericht Sachsen-Anhalt hat das Arbeitsgericht mit Beschluss vom 20.01.2022 den PKH-Bewilligungsbeschluss vom 25.10.2019 dahingehend geändert, dass die von der Klägerin zu zahlende monatliche Rate auf 147,00 Euro festgesetzt wurde.

Nachdem die Klägerin der Zahlungsaufforderung zur Zahlung der monatlichen Rate nicht nachgekommen ist, hat das Arbeitsgericht mit Verfügungen vom 15.04.2021 und vom 20.10.2021 Zahlungserinnerungen an den Prozessbevollmächtigten der Klägerin zugestellt. In den Zahlungserinnerungen hat das Arbeitsgericht die Klägerin darauf hingewiesen, dass die bewilligte Prozesskostenhilfe aufgehoben werden kann, wenn die durch das Gericht festgesetzten Raten nicht gezahlt werden. Auch die Zahlungsaufforderung vom 20.07.2020 wurde an den beigeordneten Rechtsanwalt zugestellt. Eine Übersendung an die Klägerin erfolgte nicht.

Nachdem die Klägerin weiterhin keine Raten an die Landeskasse entrichtet hat, hat das Arbeitsgericht mit Beschluss vom 02.05.2022 die der Klägerin durch Beschluss vom 25.10.2019 bewilligte Prozesskostenhilfe gemäß §§ 127 Abs. 1 Nr. 5 ZPO aufgehoben. Zum Zeitpunkt der Aufhebung der Prozesskostenhilfe war die Klägerin mit mindestens einer Rate länger als drei Monate im Rückstand.

Der Beschluss des Arbeitsgerichts vom 02.05.2022 wurde dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 10.05.2022 zugestellt. Der Klägerin wurde der Beschluss am 09.05.2022 formlos zugesandt. Der Brief wurde von der Deutschen Post AG an das Arbeitsgericht Halle mit dem Vermerk "Empfänger/Firma unter der angegebenen Anschrift nicht zu ermitteln" zurückgesendet. Nachdem das Arbeitsgericht die aktuelle Anschrift der Klägerin ermittelt hat, hat das Arbeitsgericht den Beschluss vom 02.05.2022 am 08.06.2022 an die neue Anschrift der Klägerin übersandt.

Mit Schreiben vom 27.06.2022, bei dem Landesarbeitsgericht Sachsen-Anhalt am 30.06.2022 eingegangen, hat die Klägerin gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Halle vom "09.05.2022" - gemeint war wohl der 02.05.2022 - Beschwerde eingelegt und begründete diese damit, dass sie die Zahlungsaufforderungen nicht erhalten habe und es ihr demzufolge nicht möglich war, Zahlungen zu leisten. Ein Kontakt zu ihrem Prozessbevollmächtigten habe nicht bestanden. Sie sei zudem bereit, die Ratenzahlungen zu leisten.

Mit Beschluss vom 27.07.2022 hat das Arbeitsgericht der Beschwerde der Klägerin nicht abgeholfen und dem Landesarbeitsgericht zur Entscheidung vorgelegt.

Mit Verfügung vom 02.11.2022 hat die Bezirksrevisorin bei dem Landesarbeitsgericht Sachsen-Anhalt zu der sofortigen Beschwerde Stellung genommen. Die Bezirksrevisorin bei dem Landesarbeitsgericht Sachsen-Anhalt hält die sofortige Beschwerde der Klägerin für unzulässig, da die Notfrist von einem Monat nach Zustellung an den...

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