Entscheidungsstichwort (Thema)
Weitergeltung einer Tarifanwendung aus betrieblichen Übung nach Betriebsübergang. Ausschluss eines Tarifwechsels bei inkongruenter Tarifbindung
Leitsatz (redaktionell)
1. Wendet eine Arbeitgeberin, ohne hierzu aus anderen rechtlichen Gründen verpflichtet zu sein, über Jahre hinweg regelmäßig und ohne Vorbehalt der Freiwilligkeit die im Übrigen in ihrem Betrieb geltenden tariflichen Vorschriften im gleichen Maße auf nicht tarifgebundene Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer an, erwächst diesen ein Anspruch auf künftige Anwendung der Tarifnormen aus betrieblicher Übung; aus dem Verhalten der Arbeitgeberin ist ein Rechtsbindungswille zu ermitteln, über die schriftliche Vereinbarung hinaus die entsprechenden Tarifwerke ("S TVe")anzuwenden.
2. Wendet die Betriebsübernehmerin zur Gleichstellung der Außenseiter mit Gewerkschaftsmitgliedern einheitlich tarifliche Vorschriften an, kann diese Gleichstellung nicht als Tarifwechselklausel ausgelegt werden, wenn es sich bei dem entsprechenden Tarifwerk ("A Haus-TV") nicht um "einen entsprechenden Tarifvertrag in seiner jeweils geltenden Fassung" ("S TVe") sondern um einen anderen Tarifvertrag handelt.
3. Die Ablösung eines vor dem Betriebsübergang normativ geltenden Tarifvertrages durch einen anderen Tarifvertrag setzt gemäß § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB die kongruente Tarifgebundenheit der neuen Inhaberin und der Arbeitnehmerin voraus; die Vorschrift ist nicht dazu bestimmt, auf die bei der Betriebsübergeberin begründeten Rechte und Pflichten Einfluss zu nehmen.
Normenkette
BGB § 613a Abs. 1 S. 1-3, §§ 133, 151, 157, 242, 611a
Verfahrensgang
ArbG Magdeburg (Entscheidung vom 18.02.2015; Aktenzeichen 7 Ca 1216/14) |
Nachgehend
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Magdeburg vom 18.02.2015 - 7 Ca 1216/14 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
2. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Frage, welches Tarifwerk auf ihr Arbeitsverhältnis zur Anwendung kommt und darüber, ob die Beklagte der Klägerin deshalb weitere Arbeitsvergütung schuldet.
Die Klägerin, welche nicht Mitglied der Gewerkschaft ver.di ist, ist seit dem 01.09.1994 in dem zunächst von dem O bzw. dem diesen nachfolgenden Landkreis B als Eigenbetrieb geführten Kreiskrankenhaus in H, K, tätig. In § 2 des Arbeitsvertrages vom 28.08.1995 (Anl. B1, Bl. 45 f der Akte) ist folgendes vereinbart:
"Das Arbeitsverhältnis bestimmt sich nach dem Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) und den diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträgen in der für den Bereich der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) jeweils geltenden Fassung. Außerdem finden die für den Arbeitgeber jeweils geltenden sonstigen einschlägigen Tarifverträge Anwendung."
Mit Schreiben vom 15.11.2005 (Anl. K5, Bl. 10 f der Akte) teilte das damalige O-klinikum der Klägerin die Überleitung ihres Beschäftigungsverhältnisses in den TVöD mit.
Das Klinikum ging im Wege des Betriebsüberganges im Jahr 2007 an die S-O-Klinikum GmbH über.
Zunächst kamen auf die Rechtsbeziehung zwischen der Klägerin und der S-O-Klinikum GmbH die Bestimmungen des TVöD zur Anwendung. Mit Schreiben vom 20.08.2010 (Anl. K6, Bl. 12 der Akte) teilte das S-O-Klinikum GmbH der Klägerin mit, dass ihr Beschäftigungsverhältnis rückwirkend ab dem 01.01.2010 in den Konzern-Manteltarifvertrag (M-TV M/W/I S) übergeleitet werde und rückwirkend ab dem 01.07.2010 der Konzern-Entgelt-Tarifvertrag sowie damit verbundene haustarifliche Sonderregelungen wirksam würden. Mit weiterem Schreiben vom Oktober 2010 (Anl. K7, Bl. 13 der Akte) teilte die S-O-Klinikum GmbH der Klägerin nochmals mit, dass das Beschäftigungsverhältnis rückwirkend zum 01.01.2010 in die Tarifverträge des S-Konzerns übergeleitet werde, und führte in dem Schreiben nachfolgende Tarifverträge auf:
- Konzern-Mantel-Tarifvertrag (M-TV M/W/I S)
- Konzern-Entgelt-Tarifvertrag (E-TV M/W/I S)
- Konzern-Überleitung-Tarifvertrag (Ü-TV M/W/I S)
- Konzern-Tarifvertrag zur Entgeltumwandlung (TV-EUmw M/W/I S)
- Konzern-Tarifvertrag für Auszubildende (A-TV M/W/I S) bei Auszubildenden
- Konzern-Tarifvertrag zu Beruf, Familie und Gesundheitsförderung (BFG-TV M/W/I S)
Seitdem richtete sich das Arbeitsverhältnis nach diesen Tarifverträgen.
Aufgrund eines Asset Deals fand mit Wirkung zum 01.11.2013 ein weiterer Betriebsübergang statt, diesmal auf die Beklagte, welche damals unter "A Krankenhausgesellschaft B mbH firmierte.
Die Beklagte betrieb bereits vor der Übernahme des "Oklinikums" in H, K, eine medizinische Einrichtung, nämlich ein Fachkrankenhaus für Psychiatrie und Neurologie. Sie hatte am 28.03.2006 mit der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di einen Haustarifvertrag abgeschlossen, dessen Rubrum wie folgt lautet:
"Haustarifvertrag
(mit weitergeltenden Regelungen aus dem BAT-O)
zwischen dem
A Fachkrankenhaus H, K, H
vertreten durch die
Trägerschaft A Kliniken GmbH, K, H, diese vertreten durch die Geschäftsf...