Entscheidungsstichwort (Thema)
Anhörung des Personalrats. Mitteilungspflicht des Arbeitgebers
Leitsatz (redaktionell)
1. Der Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes muss dem Personalrat die für seinen Kündigungsentschluss maßgeblichen Tatsachen einschließlich der Gründe für die Sozialauswahl unaufgefordert mitteilen. Verstößt er hiergegen, so ist die Kündigung rechtsunwirksam.
2. Die Grundsätze der Sozialauswahl gelten auch bei Massenentlassungen. Die mit jeder sozialen Auswahl bei einer Massenentlassung im Rahmen der Stilllegung eines Betriebsteils typischerweise verbundenen Schwierigkeiten aufgrund der erforderlich werdenden Um- und Versetzungen und der damit verbundenen notwendigen Einarbeitungszeiten stellen prinzipiell keine berechtigten betrieblichen Bedürfnisse i.S.v. § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG dar, die den Arbeitgeber von der Vornahme einer Sozialauswahl gem. § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG befreien.
3. Beim Abbau eines Personalüberhangs steht ein unterschiedliches arbeitsvertragliches Arbeitszeitvolumen der Austauschbarkeit von Arbeitnehmern nicht allein deshalb entgegen, weil auch ihnen ohne Änderung ihres Arbeitsvertrags kraft Direktionsrechts des Arbeitgebers eine Stelle mit jeweils anderen Arbeitszeitvolumen nicht zugewiesen werden könnte. Die Notwendigkeit einer Sozialauswahl zwischen Arbeitnehmern mit unterschiedlichem individuellen Arbeitszeitumfang hängt vom Inhalt der kündigungsbegründenden Unternehmerentscheidung ab.
Normenkette
PersVG-SA § 67 Abs. 1 Nr. 8, § 57 Abs. 2; BPersVG § 108 Abs. 2; KSchG § 1 Abs. 2-3
Verfahrensgang
ArbG Magdeburg (Urteil vom 28.11.2001; Aktenzeichen 5 Ca 3101/01) |
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird dasUrteil desArbeitsgerichts Magdeburg vom28.11.2001 – 5 Ca 3101/01 – abgeändert.
Es wird festgestellt, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 27.06.2001 nicht aufgelöst worden ist.
Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin zu unveränderten Bedingungen als technische Kraft in der Lohngruppe 1 a BMTG-O bis zum rechtskräftigen Abschluß des Rechtsstreits weiterzubeschäftigen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit der betriebsbedingten Kündigung vom 27.06. zum 31.12.2001.
Die am 03.08.1967 geborene Klägerin ist verheiratet. Ihr Ehemann ist Altersrentner. Die Klägerin hat vier unterhaltsberechtigte Kinder. Sie ist seit dem 16.02.1984 (bzw. 03.08.1985: Vollendung des 18. Lebensjahres) bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängern als Reinigungskraft (Lohngruppe 1/1 a BMTG-O) auf einer nach dem Stellenplan der Beklagten dem Amt 40 (Schulverwaltungsamt) angegliederten Stelle mit vertraglich vereinbarten 40 Wochenstunden beschäftigt und zuletzt planmäßig in der Sprachheilschule/Internat „Anne Frank” eingesetzt.
Im Jahr 2000 privatisierte die Beklagte die Reinigungsleistung an den Schulen (Amt 40 – Schulverwaltungsamt). Die jeweiligen privaten Dienstleister hatten sich gegenüber der Beklagten vertraglich verpflichtet, die Reinigungskräfte an den Schulen vorbehaltlich deren Zustimmung zu übernehmen und die Rechte und Pflichten aus den bestehenden Arbeitsverhältnissen der Beschäftigten vor Ablauf eines Jahres nicht zu deren Nachteil zu ändern. Alle Reinigungskräfte lehnten die angebotene Übernahme ab. Die Beklagte hatte auch den Reinigungskräften des Amtes 51 (Jugendamt) mit Schreiben vom 29.11.1999 die Möglichkeit gegeben, sich ab 01.01.2000 für eine Übernahme zu einer Reinigungsfirma und damit zur Arbeit an einer Schule bereitzuerklären, wenn von den Reinigungskräften der Schulen diese Möglichkeit nicht genutzt werde. Alle Reinigungskräfte des Amtes 51 erklärten sich hierzu nicht bereit.
Am 20.04.2001 beschäftigte die Beklagte noch 71 Schulreinigungskräfte einschließlich der Klägerin (Lohngruppe 1/1 a BMTG-O) in ungekündigten Arbeitsverhältnissen mit anderen Aufgaben außerhalb des Stellenplanes. Mit diesen Arbeitnehmerinnen waren folgende Arbeitszeitvolumen vereinbart:
– |
1 |
Reinigungskraft mit 20 Wochenstunden |
– |
4 |
Reinigungskräfte mit 30 Wochenstunden |
– |
1 |
Reinigungskraft mit 35 Wochenstunden |
– |
65 |
Reinigungskräfte mit 40 Wochenstunden. |
Die Beklagte beschäftigte am 20.04.2001 ferner 45 Reinigungskräfte und 101 Reinigungskräfte mit Essensausgabe im Amt 51, vorwiegend im Kindertagesstättenbereich, sowie 11 Reinigungskräfte in den Theatern in der Lohngruppe 1/1 a BMTG-O. Mit den Reinigungskräften in den Theatern sind individuelle, vom Spielbetrieb abhängige Arbeitszeiten (Schicht- und Wochenend- sowie Feiertagsdienste) einzelvertraglich vereinbart. Für alle anderen Reinigungskräfte gilt die Dienstvereinbarung über gleitende Arbeitszeit.
Die Beklagte kündigte der Klägerin und 70 weiteren Arbeitnehmerinnen mit Schreiben vom 27.06. fristgerecht zum 31.12.2001. Die Auswahl dieser 71 Arbeitnehmerinnen nahm die Beklagte mit dem Stichtag 20.04.2001 unter 190 Reinigungskräften und Reinigungskräften mit Essensausgabe der Ä...