Entscheidungsstichwort (Thema)
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand – Organisationsverschulden. Organisation des Fristenwesens. Streichung von Fristen
Leitsatz (amtlich)
Zu einem ordnungsgemäßen Fristenwesen gehört es, dass sichergestellt ist, dass keine versehentlichen Löschungen oder Eintragungen erfolgen. Zur Glaubhaftmachung bedarf es Vortrags zu den insoweit erteilten Anweisungen, den getroffenen organisatorischen Vorkehrungen und ergriffenen Kontrollmaßnahmen.
Normenkette
ZPO § 85 Abs. 2, §§ 233, 237; ArbGG § 66 Abs. 1, 2 S. 2
Verfahrensgang
ArbG Lübeck (Urteil vom 09.11.2010; Aktenzeichen 6 Ca 1134/10) |
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Lübeck vom 09.11.2010 – 6 Ca 1134/10 – wird auf ihre Kosten als unzulässig verworfen.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Tatbestand
I.
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung. Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Gegen das ihr am 03.12.2010 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 23.12.2010 Berufung eingelegt.
Mit Schriftsatz vom 14.02.2011, beim Landesarbeitsgericht am Folgetag eingegangen, hat die Klägerin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bezogen auf die am 03.02.2011 abgelaufene Berufungsbegründungsfrist beantragt. Gleichzeitig hat sie um Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist gebeten. Auf den Hinweis des Landesarbeitsgerichts, dass die versäumte Prozesshandlung innerhalb der Frist des § 234 ZPO nachzuholen und diese Frist nicht verlängerbar ist, hat die Klägerin am 17.02.2011 die Berufung begründet.
Zur Begründung ihres Wiedereinsetzungsantrags führte die Klägerin aus, im Fristenkalender sei zunächst die Berufungsbegründungsfrist für den 03.02.2011 notiert worden. Diese Frist habe die Rechtsanwalts- und Notargehilfin S. gestrichen und als neue Frist den 03.03.2011 notiert. Anlass hierfür sei die am 03.01.2011 im Büro der Prozessbevollmächtigten der Klägerin eingegangene Verfügung des Landesarbeitsgerichts vom 28.12.2010 gewesen. In dieser Verfügung heißt es unter Ziffer 2:
„Die Frist für die Begründung der Berufung beträgt 2 Monate. Diese beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils 1. Instanz, spätestens aber mit Ablauf von 5 Monaten nach der Verkündung (§ 66 Abs. 1 S. 1 ArbGG).”
Die Rechtsanwalts- und Notargehilfin S. habe nur den ersten Satz der Ziffer 2 gelesen und deshalb die Frist 03.02.2011 gestrichen und eine neue Frist 03.03.2011 notiert. Zur Glaubhaftmachung hat die Klägerin auf die eidesstattliche Versicherung der nach ihrem Vortrag seit über 20 Jahren im Büro des Prozessbevollmächtigten der Klägerin beschäftigten und sehr gewissenhaft arbeitenden Rechtsanwalts- und Notargehilfin S. verwiesen (Anlage A 5 = Bl. 186 d. A.).
Die zum Wiedereinsetzungsantrag der Klägerin angehörte Beklagte hat beantragt, den Antrag zurückzuweisen. Es fehle Vortrag zur Organisation des Büros und zum Umgang mit Fristen. Im Rahmen einer ordnungsgemäßen Büroorganisation müsse sichergestellt sein, dass Kanzleimitarbeiter einmal eingetragene Fristen nicht eigenmächtig abändern.
Wegen des weiteren Parteivorbringens wird auf die zur Akte gereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Berufung der Klägerin ist unzulässig. Sie ist nicht innerhalb der gesetzlichen Frist begründet worden. Folglich ist ihre Berufung als unzulässig zu verwerfen, § 522 Abs. 1 Satz 2 ZPO.
1. Die Frist zur Berufungsbegründung beginnt mit dem Tag der Zustellung des angegriffenen Urteils und beträgt zwei Monate, § 66 Abs. 1 Sätze 1 und 2 ArbGG. Der Klägerin ist das Urteil des Arbeitsgerichts am 03.12.2010 zugestellt worden. Demnach ist die Berufungsbegründungsfrist am 03.02.2011 abgelaufen. Der Berufungsbegründungsschriftsatz ist jedoch erst am 17.02.2011 beim Landesarbeitsgericht eingegangen, sodass die Berufungsbegründungsfrist nicht gewahrt ist.
2. Der Klägerin war auch nicht die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Zwar kann gemäß § 233 ZPO einer Partei, die ohne ihr Verschulden gehindert war, die Frist zur Begründung der Berufung zu wahren, auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden. Das Fristversäumnis beruht jedoch auf einem Verschulden des Prozessbevollmächtigten der Klägerin, das diese sich nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muss. Die Klägerin hat weder dargetan noch glaubhaft gemacht, dass ihr Prozessbevollmächtigter durch eine ordnungsgemäße Organisation in seiner Kanzlei dafür Sorge getragen hat, dass notierte Fristen vor ihrer Erledigung nicht irrtümlich gelöscht werden.
a) Die Sorgfaltspflicht des Rechtsanwalts in Fristensachen verlangt zuverlässige Vorkehrungen, um den rechtzeitigen Ausgang fristwahrender Schriftsätze sicherzustellen. Zu den Aufgaben des Rechtsanwalts gehört es deshalb, durch entsprechende Organisation seines Büros dafür zu sorgen, dass die Fristen ordnungsgemäß eingetragen und beachtet werden. Der Anwalt hat sein Möglichstes zu tun, um Fehlerquellen bei der Eintragung und Behandlung von F...