Entscheidungsstichwort (Thema)
Beschwerde der Arbeitgeberin im Zusammenhang mit der Anfechtung der Betriebsratswahl. Abtrennbarer Teil eines Unternehmens
Leitsatz (redaktionell)
1. Fehlt ein eigener Leitungsapparat, der für die Organisationseinheit die maßgeblichen mitbestimmungsrelevanten Entscheidungen einheitlich trifft, kann die besagte Organisationseinheit nur Teil eines Betriebs, nicht aber selbst Betrieb im Sinne des § 1 Abs. 1 BetrVG sein.
2. Ein Verstoß gegen § 9 BetrVG führt zur Unwirksamkeit der Wahl.
Normenkette
BetrVG § 1 Abs. 1, § 4 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Kiel (Entscheidung vom 23.11.2023; Aktenzeichen 3 BV 18 a/23) |
Tenor
1. Die Beschwerden der Beteiligten zu 2. und 3. werden zurückgewiesen.
2. Die Wideranträge der Beteiligten zu 2. und 3. werden zurückgewiesen.
3. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit einer Betriebsratswahl.
Die Antragstellerin und Beteiligte zu 1) (Arbeitgeberin) gehört zur J. .... -Unternehmensgruppe. Sie bietet Dienstleistungen im Bereich der Bestellung und Lieferung von Essen von Restaurants an Kunden an. In Deutschland stellt sie eine App und die Website www.....de zur Verfügung, über die Kunden bei verschiedenen Restaurants bestellen können. Die Bestellungen werden von Fahrern der Restaurants oder von Fahrern der Arbeitgeberin ausgeliefert.
In K. beschäftigt die Arbeitgeberin etwa 45 Mitarbeiter, die als Kuriere die Bestellungen in K. und Umgebung ausfahren. Bei dem Beteiligten zu 2) handelt es sich um den von diesen Mitarbeitern am 28.03.2023 gewählten dreiköpfigen Betriebsrat (Betriebsrat K.).
Organisatorisch war die Arbeitgeberin zum Zeitpunkt dieser Wahl, also im März 2023, wie folgt aufgebaut:
Am Unternehmenssitz in B. unterhält die Arbeitgeberin ihre Zentrale. Dort sind Zentralfunktionen wie der für die Fahrer zuständige Personalbereich (Courier HR, Recruiting, Live Operations) sowie weitere Fachabteilungen angesiedelt.
In größeren Städten, u.a. H. und Ha., hat die Arbeitgeberin sog. Hauptumschlagbasen (Hub) organisiert. In diesen sog. Hub-Cities arbeiten nicht nur Fahrer, sondern auch sog. Staff-Mitarbeiter, die in betrieblichen Räumen Verwaltungs- und Back-Office-Tätigkeiten verrichten. In H. waren und sind etwa 12 Staff-Mitarbeiter tätig. Zu ihnen zählen u.a. die sog. Courier-Koordinatoren. In H. arbeiten rund zehn Beschäftigte in dieser Funktion. Sie sind die unmittelbaren Ansprechpartner der Fahrer in den Liefergebieten K. und H.. Die Courier-Koordinatoren sind u. a. zuständig für die Entgegennahmen von Krankmeldungen, Urlaubsgewährung und -planung sowie die Überarbeitung der Schichtplanung der Fahrer. Weiter entscheiden die Courier-Koordinatoren über Abmahnungen oder Entlassungen der Fahrer. Die Courier-Koordinatoren werden bei Bedarf von den Fachabteilungen in B. unterstützt. Teilweise stimmen sie sich bei ihren Entscheidungen mit ihren Vorgesetzten, den Standortleitern der jeweiligen Hub-City, ab. Standortleiterin der Hub H. ist die City Operation Managerin Frau A.. Die in der Hub-City H. beschäftigten Mitarbeiter haben den 11-köpfigen Beteiligten zu 3) (Betriebsrat H.) gewählt. Diese Wahl wurde nicht angefochten.
Andere Standorte, u.a. K. und Br., hatte die Arbeitgeberin als sog. Remote-Cities organisiert. In den jeweiligen Liefergebieten sind ausschließlich Fahrer beschäftigt, die die Bestellungen ausliefern. Betriebliche Räume oder einen leitenden Mitarbeiter gab und gibt es in K. nicht. Soweit in K. einzelne Mitarbeiter in ihren Arbeitsverträgen als sog. "Driver Captain" bezeichnet sind, nehmen sie keine Führungsaufgaben oder Weisungsbefugnisse wahr.
Die in der Hub-City H. beschäftigten Courier-Koordinatoren sind (ggf. in Zusammenwirken mit der ebenfalls in H. beschäftigten Standortleiterin) auch für die Fahrer der Liefergebiete K. und Br. zuständig. Die Courier-Koordinatoren sind in erster Linie über ein Kontaktformular in der bei der Arbeitgeberin unternehmensweit eingesetzten S.-App oder per E-Mail für die Mitarbeiter erreichbar.
Bis zu seinem Rücktritt am 07.07.2022 repräsentierte ein im Jahr 2021 bei der Arbeitgeberin gebildeter "Betriebsrat Nord" die in den Liefergebieten H., K., Br., Ha., G. und Bra. beschäftigten Arbeitnehmer. Nach Rücktritt dieses Betriebsrats sind für die einzelnen Liefergebiete bzw. Organisationseinheiten der Arbeitgeberin Betriebsratsgremien gewählt worden. Der vom "Betriebsrat Nord" für die Organisationseinheit K. eingesetzte Wahlvorstand forderte die Arbeitgeberin mit E-Mail vom 02.09.2022 auf, ihm "eine aktuelle Personalliste für den Betrieb K. zur Verfügung zu stellen" (Anlage KLIEMT 3). Dieser Aufforderung kam die Arbeitgeberin nach. Der Betriebsrat K. ging aus der am 28.03.2023 im Liefergebiet K. durchgeführten Betriebsratswahl hervor. Das Wahlergebnis wurde am selben Tag bekannt gegeben. Die konstituierende Sitzung fand am 30.03.2023 statt.
Die Arbeitgeberin hat mit ihrem beim Arbeitsgericht Hamburg (Az. 5 BV 7/23) am 06.04.2023 eingegangenen Antrag - soweit für das Beschwe...