Entscheidungsstichwort (Thema)
Auslegung prozessualer Willenserklärungen. Keine Bewilligung von Prozesskostenhilfe nach Beendigung des Rechtsstreits. Keine nachträgliche Einreichung von Unterlagen zur Prozesskostenhilfe in der Beschwerdeinstanz
Leitsatz (redaktionell)
1. Maßgebend für die Auslegung von prozessualen Willenserklärungen sind die für Willenserklärungen des bürgerlichen Rechts entwickelten Grundsätze. Entsprechend § 133 BGB ist nicht am buchstäblichen Sinn des in der Prozesserklärung gewählten Ausdrucks zu haften, vielmehr ist der in der Erklärung verkörperte Wille zu ermitteln. Im Zweifel sind prozessuale Willenserklärungen so auszulegen, dass das gewollt ist, was aus Sicht der Prozesspartei nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und der wohlverstandenen Interessenlage entspricht.
2. Nach § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO kann Prozesskostenhilfe lediglich für eine "beabsichtigte" Rechtsverfolgung gewährt werden. Nach Beendigung des Rechtsstreits wird die Rechtsverfolgung nicht mehr beabsichtigt.
3. Die Einreichung der für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe erforderlichen Unterlagen kann nicht im Beschwerdeverfahren nachgeholt werden. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO und § 118 Abs. 2 Satz 4 ZPO sind spezieller als § 571 Abs. 2 Satz 1 ZPO.
Normenkette
ZPO § 114 Abs. 1 S. 1, § 118 Abs. 2 S. 4, §§ 139, 117 Abs. 2 S. 1, § 278 Abs. 6 S. 1, § 571 Abs. 2 S. 1; BGB § 133
Verfahrensgang
ArbG Elmshorn (Entscheidung vom 04.04.2023; Aktenzeichen 3 Ca 118 a/23) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Elmshorn vom 4. April 2023 - 3 Ca 118 a/23 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Gründe
I.
Die Klägerin wendet sich mit ihrer Beschwerde gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe durch das Arbeitsgericht.
Die Klägerin hat unter dem 2. Februar 2023 Kündigungsschutzklage erhoben und zugleich hierfür Prozesskostenhilfe beantragt. Dem Schriftsatz lagen weder eine Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse noch andere Prozesskostenhilfeunterlagen bei. Das Nachreichen von Unterlagen wurde auch nicht angekündigt.
Der Gütetermin scheiterte. Es wurde ein Kammertermin bestimmt und Auflagen lediglich die Hauptsache betreffend erlassen.
Unter dem 4. April 2023 zeigte die Klägerin dem Gericht die Einigung der Parteien an und bat um einen Beschluss des Gerichts nach § 278 Abs. 6 ZPO, um Streitwertfestsetzung und um die Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag. Das Gericht hob den Kammertermin auf und bat die Beklagte um Stellungnahme zum Vergleichsvorschlag. Gleichzeitig hörte das Gericht die Parteien zur beabsichtigten Streitwertfestsetzung an.
Die Beklagte stimmte dem Vergleichsvorschlag der Klägerin am 5. April 2023 zu. Das Gericht stellte den Vergleich am 6. April 2023 durch Beschluss nach § 278 Abs. 6 Satz 2 ZPO fest. Der Beschluss ist den Parteien noch am gleichen Tage zugestellt worden.
Bereits am 4. April 2023 wies das Gericht den Prozesskostenhilfeantrag der Klägerin mit der Begründung zurück, die Klägerin habe entgegen der Ankündigung in der Klagschrift keine Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Klägerin vorgelegt. Der Beschluss ging dem Klägerinvertreter noch am 4. April 2023 zu.
Unter dem 14. April 2023 legte die Klägerin durch ihren Prozessvertreter gegen den Beschluss des Gerichts vom 4. April 2023 sofortige Beschwerde ein. Der Beschwerde lagen die ausgefüllte Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Klägerin nebst Anlagen bei.
Die Klägerin führt aus, dass die Erklärung der Klägerin über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse versehentlich nicht vor dem Abschluss des Verfahrens vorgelegt worden sei. Nach ständiger Rechtsprechung setze aber die Ablehnung der Prozesskostenhilfe auch bei Nichtvorlage des amtlichen Vordrucks über die Erklärung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse zunächst eine wirksame Fristsetzung durch das Arbeitsgericht voraus, die hier unterblieben sei. Das Arbeitsgericht dürfe nach Eingang eines PKH-Gesuchs nicht bis zur Verfahrensbeendigung zuwarten und dann den Antrag wegen Nichtvorlage des Vordrucks zurückweisen.
Unter dem 17. April 2023 hat das Arbeitsgericht der Beschwerde der Klägerin nicht abgeholfen und die Sache dem Beschwerdegericht zur Entscheidung vorgelegt. Bei Abschluss des Rechtsstreits habe die Klägerin keinen formgemäßen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe vorgelegt. Dieser umfasse mit Blick auf § 118 Abs. 2 Satz 4 ZPO auch den ordnungsgemäß ausgefüllten Antragsvordruck und alle Unterlagen. Mache ein Antragsteller unter anwaltlicher Beratung Sozialleistungen geltend, sei es an ihm, die formellen Voraussetzungen zu wahren. Mit der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts sei es nicht Aufgabe des Gerichts, auf ein Fehlen des PKH-Vordrucks hinzuweisen (BAG 31. Juli 2017 - 9 AZB 32/17 - Rn. 6, juris).
II.
Die gemäß § 127 Abs. 2 S. 2 ZPO statthafte, form- und fristgemäß eingelegte Beschwerde der Klägerin gegen den Prozesskostenhilfe versage...