Entscheidungsstichwort (Thema)
Unterlassungsanspruch § 23. Abs. 3 BetrVG. Verstoß gegen Mitbestimmungsrecht
Verfahrensgang
ArbG Lübeck (Beschluss vom 02.04.1986; Aktenzeichen 4 BV 85/85) |
Tenor
Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 2) wird der Beschluß des Arbeitsgerichts Lübeck vom 02. April 1986 geändert.
Die Anträge zu 1) und 3) des Beteiligten zu 1) werden zurückgewiesen.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Tatbestand
I.
Die Beteiligten zu 1) und 2) streiten darüber, ob der Beteiligte zu 1) gegen die Beteiligte zu 2) einen Anspruch auf Unterlassung der Anordnung bzw. Duldung von Mehrarbeit ohne seine Zustimmung im Sinne des § 23 Abs. 3 BetrVG hat.
Für den Sach- und Streitstand in erster Instanz wird auf den angefochtenen Beschluß des Arbeitsgerichts Lübeck vom 02. April 1986 nebst seinen Verweisungen Bezug genommen.
Das Arbeitsgericht hat den Anträgen des Beteiligten zu 1) teilweise mit der Begründung stattgegeben, daß dieser einen Anspruch auf strafbewehrte Unterlassung der Anordnung bzw. Duldung von Mehrarbeit ohne seine vorherige Zustimmung gem. § 23 Abs. 3 BetrVG habe; ein grober Verstoß gegen das Mitbestimmungsrecht des Beteiligten zu 1) sei durch viele Verstöße gegen einschlägige Betriebsvereinbarungen gegeben; Mehrarbeit sei in einer Vielzahl von Fällen über eine längere Zeit hinweg geleistet worden, ohne daß die Einwilligung von dem Beteiligten zu 1) eingeholt worden sei; nach Sinn und Zweck beider Betriebsvereinbarungen sei auch die Duldung, d. h. die wissentliche Hinnahme von Überstunden im Einzelfall oder die generelle Duldung von Überstunden ein Verstoß gegen die Betriebsvereinbarungen. Die Beteiligte zu 2) habe von den geleisteten Überstunden jeweils anhand der Zeiterfassungskarten Kenntnis genommen; welche Maßnahmen sie im einzelnen getroffen habe, um die Ableistung von Überstunden zu verhindern, sei nicht vorgetragen worden.
Gegen diesen ihr am 22. April 1986 zugestellten Beschluß hat die Beteiligte zu 2) am 20. Mai 1986 Beschwerde eingelegt und diese am 11. Juni 1986 begründet.
Die Beteiligte zu 2) trägt vor:
Der erstinstanzliche Beschluß habe zu Unrecht die Voraussetzungen des § 23 Abs. 3 BetrVG bejaht; diese Vorschrift setze grobe Verstöße des Arbeitgebers voraus. Als juristische Person könne die Beteiligte zu 2) die Anspruchsvoraussetzungen nur dann erfüllt haben, wenn dem Vorstandsvorsitzenden eine mindestens objektiv vorliegende Pflichtverletzung nachgewiesen worden wäre. Ein derartiges Ergebnis sei jedoch aufgrund des tatsächlichen Vorbringens des Beteiligten zu 1) nicht möglich. Selbst wenn man – ohne daß das Arbeitsgericht oder der Beteiligte zu 1) diese Konstruktion angesprochen hätten, -davon ausgehe, daß der Werkleiter oder sogar einzelne Schichtmeister heranzuziehen seien, um deren Handlungen dem gesetzlichen Vertreter der Beteiligten zu 2) zurechnen zu können, sei nicht ersichtlich, worin eine grobe Pflichtverletzung des gesetzlichen Vertreters zu sehen sei. Im übrigen sei nicht vorgetragen worden, daß die Vorgesetzten wiederholt Pflichtverstöße begangen hätten; nach der Rechtsauffassung des erstinstanzlichen Beschlusses wären im übrigen viele kleine Pflichtverstöße erforderlich gewesen, um dem Arbeitgeber aufgrund der Wiederholungsgefahr eine grobe Pflichtverletzung auch ohne Verschulden anlasten zu können.
Die Beteiligte zu 2) beantragt:
Der Beschluß des Arbeitsgerichts Lübeck vom 02.04.1986 (Az.: – 4 BV 85/85 –) wird zu Nr. 1 und Nr. 2 geändert.
Die Anträge der Antragstellerin zu 1) und 3) werden zurückgewiesen.
Der Beteiligte zu 1) beantragt,
die Beschwerde der Beteiligten zu 2) zurückzuweisen.
Er trägt vor:
Daß der Vorstandsvorsitzende der Beteiligten zu 2) jeden Tag Überstunden der Beschäftigten persönlich anordne oder dulde, sei im vorliegenden Verfahren nicht behauptet worden; gerade dies sei auch nicht Voraussetzung von § 23 Abs. 3 BetrVG. Der Arbeitgeber sei nicht als natürliche Person angesprochen, sondern als Organ der Betriebsverfassung. Eine objektiv vorliegende Pflichtverletzung des Vorstandsvorsitzenden werde gerade in § 23 Abs. 5 BetrVG nicht gefordert. Weiterhin sei gleichgültig, ob ein Verschulden des Arbeitgebers vorliege; denn das BAG habe in seiner Entscheidung vom 18.04.1985 – 6 ABR 19/84 – u. a. ausgeführt, daß es nur auf das Vorliegen von schweren Verstößen gegen die Verpflichtungen aus dem Betriebsverfassungsgesetz ankomme und ein Verschulden des Arbeitgebers als Merkmal des Anspruchs ausscheide. Das Arbeitsgericht habe Sinn und Zweck des § 87 BetrVG und der beiden Betriebsvereinbarungen über Überstunden bzw. Gleitzeit zu Recht so gesehen, daß auch die Duldung, d. h. die wissentliche Hinnahme von Überstunden, im Einzelfall oder die generelle Duldung von Überstunden einen Verstoß gegen die Betriebsvereinbarung darstellten. Die Kenntnis von angeordneten Überstunden habe die Beteiligte zu 2) durch die Vorgesetzten selbst, die diese Überstunden angeordnet hätten; die Kenntnis von Zeiten, die unter Überschreitung der individual-vertraglich geschuldeten Arbeitszeit geleiste...