Entscheidungsstichwort (Thema)
Grenzen des Einsichtsrechts des Betriebsrats in die Bruttolohn- und -gehaltslisten. Rechtsschutzbedürfnis als Prozessfortführungsvoraussetzung
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Grenzen des grundsätzlich bestehenden Einblicksrechts des Betriebsrats in die Bruttolohn- und -gehaltslisten liegen dort, wo ein Beteiligungsrecht oder eine sonstige Aufgabe des Betriebsrats offensichtlich nicht in Betracht kommt. So muss der Betriebsrat immer prüfen, ob für ihn ein sachlicher oder rechtlicher Grund besteht, Einblick in die Entgeltlisten zu nehmen. Ein willkürliches Einsichtsverlangen verstieße gegen das Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit nach § 2 Abs. 1 BetrVG und wäre rechtsmissbräuchlich. Das Tatbestandsmerkmal "auf Verlangen" in § 80 Abs. 2 Satz 2 BetrVG setzt nämlich voraus, dass der Betriebsrat die verlangte Einsichtnahme zur Durchführung seiner Aufgaben für erforderlich erachtet.
2. Das Bestehen eines Rechtsschutzbedürfnisses ist Zulässigkeitsvoraussetzung für eine Sachentscheidung des Gerichts und deshalb in jeder Lage des Verfahrens, auch noch in der Beschwerde- und in der Rechtsbeschwerdeinstanz, von Amts wegen zu prüfen. Das Rechtsschutzbedürfnis fehlt bzw. entfällt, wenn die begehrte gerichtliche Entscheidung für die Beteiligten keine rechtliche Wirkung mehr entfalten kann.
Normenkette
BetrVG § 2 Abs. 1, § 75 Abs. 1, § 80 Abs. 2
Verfahrensgang
ArbG Kiel (Entscheidung vom 15.02.2018; Aktenzeichen 5 BV 45 c/17) |
Nachgehend
Tenor
- Auf die Beschwerde der Arbeitgeberin wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Kiel vom 15.02.2018, Az. 5 BV 45 c/17, abgeändert und die Anträge des Betriebsrats abgewiesen.
- Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
A.
In der Beschwerdeinstanz streiten die Beteiligten im Wesentlichen darüber, ob der Betriebsrat von der Arbeitgeberin verlangen kann, seinem Vorsitzenden oder einem von ihm benannten Betriebsratsmitglied monatlich Einblick in die Bruttolohn- und Bruttogehaltslisten zu gewähren.
Der Beteiligte zu 1 (künftig: Betriebsrat) ist der im Betrieb der Beteiligten zu 2 (künftig: Arbeitgeberin) gebildete 7-köpfige Betriebsrat. Die Arbeitgeberin produziert und vermarktet Kurz- und Langwaffen und ist tarifgebunden. Im Januar 2017 gewährte die Arbeitgeberin dem Betriebsrat auf entsprechendes Verlangen hin Einsicht in eine Excel-Tabelle, in der für jeden Monat des Jahres 2016 für jede/n namentlich benannten Arbeitnehmer/in ein Bruttogesamtentgelt und ergänzend eine Monatsdurchschnittssumme und eine Jahressumme aufgeführt waren. Es fehlte eine Aufschlüsselung nach Grundgehalt und Zuschlägen, Bonuszahlungen etc.
Am 15.06.2017 forderte der Betriebsrat die Arbeitgeberin unter Fristsetzung bis zum 23.06.2017 erneut dazu auf, Einblick in die aktuellen Lohn- und Gehaltslisten zu gewähren. Mit Schreiben vom 21.06.2017 forderte die Arbeitgeberin den Betriebsrat zur Mitteilung der Notwendigkeit der erneuten Einsichtnahme in die Lohn- und Gehaltslisten auf. Daraufhin teilte der Betriebsrat am 04.07.2017 mit, dass er gemäß § 80 Abs. 2 BetrVG jederzeit die Einsichtnahme in die Lohn- und Gehaltlisten fordern könne. Die Einsichtnahme diene der Überprüfung der Einhaltung der Grundsätze des § 75 Abs. 1 BetrVG, insbesondere des Gleichbehandlungsgrundsatzes. Mit Schreiben vom 19.07.2017 lehnte die Arbeitgeberin das Begehren des Betriebsrats ab. Der Betriebsrat fasste daraufhin am 27.07.2017 den Beschluss, "ein Beschlussverfahren zur Einsichtnahme (der Lohn- und Gehaltslisten) einzuleiten" (Bl. 187 d. A.).
Am 09.08.2017 hat der Betriebsrat das vorliegende Beschlussverfahren vor dem Arbeitsgericht rechtshängig gemacht.
Der Antragsteller hat gemeint,
dass das Recht zur Einsichtnahme in die Bruttolohn- und -gehaltslisten anlasslos bestehe. Die monatliche Einsichtnahme sei zur Durchführung der Betriebsratsaufgaben erforderlich, da er nur so seine Beteiligungs- und Mitbestimmungsrechte ordnungsgemäß und zeitnah wahrnehmen könne. Konkret sei es so, dass er die Einhaltung der unstreitig Anfang 2018 vereinbarten "Änderung/Ergänzung zur Betriebsvereinbarung zur betriebsüblichen Arbeitszeit vom 10.11.2011" überwachen wolle, in welcher Zuschläge für Mehrarbeit an Samstagen, Sonn- und Feiertagen und für Nachtarbeit geregelt seien. Außerdem habe die Einsichtnahme in die Excel-Tabelle im Januar 2017 gezeigt, dass das Gesamtbruttoentgelt einzelner Arbeitnehmer/innen in einzelnen Monaten große Differenzen aufweise. Der Betriebsrat gehe daher davon aus, dass die Beklagte unter Verletzung des Mitbestimmungsrechts aus § 87 Abs. 1 Nr. 10 und 11 BetrVG Sonderzahlungen geleistet habe. Die Arbeitgeberin könne ihm wegen der monatlichen Einsichtnahme auch keinen hohen Zeit- und Verwaltungsaufwand entgegenhalten, da die Einsichtnahme auch in digitaler Form gewährt werden könne.
Der Betriebsrat hat zuletzt beantragt,
dem Betriebsratsvorsitzenden, dessen Stellvertreterin oder einem anderen von dem Betriebsrat bestimmten Mitglied monatlich Einsicht in d...