Entscheidungsstichwort (Thema)

Aussetzung des Verfahrens wegen Verdachts einer Straftat. Ermessensentscheidung des Gerichts bei eines Aussetzung des Verfahrens

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Gemäß § 149 Abs. 1 ZPO kann das Gericht, wenn sich im Laufe eines Rechtstreits der Verdacht einer Straftat ergibt, deren Ermittlung auf die Entscheidung von Einfluss ist, die Aussetzung der Verhandlung bis zur Erledigung des Strafverfahrens anordnen. Unstreitig ist, dass eine Aussetzung auch erfolgen kann, wenn das Strafverfahren bereits vor Einreichung der Klage eingeleitet worden ist.

2. Die gerichtliche Entscheidung über eine Aussetzung nach § 149 ZPO unterfällt der richterlichen Ermessensausübung. Das Ermessen hat sich dabei innerhalb der gesetzlichen Grenzen zu halten und an dem gesetzgeberischen Zweck der Vorschrift auszurichten. Daher hat das Gericht bei seiner Ermessensentscheidung die Vor- und Nachteile der Aussetzung abzuwägen, also die verzögerte Erledigung des Zivilprozesses gegen den möglichen Erkenntnisgewinn aus dem Strafverfahren.

 

Normenkette

ZPO § 149 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Elmshorn (Entscheidung vom 24.03.2022; Aktenzeichen 3 Ca 1336 a/21)

 

Tenor

Die sofortige Beschwerde der Beklagten gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Elmshorn vom 24.03.2022 - 3 Ca 1336 a/21 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Die Beklagte wendet sich gegen die Ablehnung der Aussetzung eines zwischen ihr und dem Kläger vor dem Arbeitsgericht geführten Prozesses nach § 149 Abs. 1 ZPO.

Der Kläger hat vor dem Arbeitsgericht Klage erhoben mit der er die Erstellung korrigierter Verdienstabrechnungen für die Monate Mai bis August 2021 im Hinblick auf die dort für die einzelnen Monate von ihm geleisteten Arbeitsstunden begehrt. Außerdem verlangt der Kläger Urlaubsabgeltung für das Jahr 2021 in Höhe von 450,00 EUR netto für 20 Urlaubstage. Er war vom 01.02.2020 bis 30.09.2021 bei der Beklagten als Servicemitarbeiter auf Grundlage eines geringfügigen Beschäftigungsverhältnisses (450,00-EUR-Job) tätig.

Mit Schriftsatz vom 18.03.2022 hat die Beklagte die Aussetzung des Rechtstreits beantragt, da aufgrund des Verfahrensgegenstands gegenwärtig ein Ermittlungsverfahren beim Hauptzollamt I... anhängig sei. Inhaltliche Angaben der Beklagten seien dem Ermittlungsverfahren vorgreiflich und kollidierten mit ihrem dortigen Schweigerecht.

Das Arbeitsgericht hat durch Beschluss vom 24.03.2022 die Aussetzung des Verfahrens abgelehnt. Es sei bereits nicht ersichtlich, was konkreter Gegenstand des Ermittlungsverfahrens sei und unklar, welche Sachverhaltsergebnisse des Strafverfahrens die tatsächlichen Feststellungen im Verfahren vor dem Arbeitsgericht erleichtern sollten. Das Interesse des Klägers an einem zeitnahen Abschluss des Verfahrens sei vorrangig zu berücksichtigen. Das Interesse der Beklagten, ihrem strafprozessualen Schweigerecht auch im zivilrechtlichen Rechtstreit Vorrang zu gewähren, sei nicht schützenswert.

Gegen diesen Beschluss hat die Beklagte am 29.03.2022 sofortige Beschwerde eingelegt, der das Arbeitsgericht mit Beschluss vom 04.04.2022 nicht abgeholfen und dem Landesarbeitsgericht zur Entscheidung vorgelegt hat.

Im Beschwerdeverfahren hat die Beklagte noch ergänzend vorgetragen, dass Hintergrund des Aussetzungsantrags die Prüfungsverfügung des Hauptzollamts I... vom 27.10.2021 unter dem Aktenzeichen S... sei, aufgrund derer die Geschäftsräume der Beklagten durchsucht worden seien. Diese Prüfungsverfügung sei auf eine Selbstanzeige des Klägers zurückzuführen.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstands wird auf die Akte Bezug genommen.

II. Die gemäß § 252 ZPO statthafte, form- und fristgemäß eingelegte und damit zulässige sofortige Beschwerde der Beklagten ist nicht begründet. Die Entscheidung des Arbeitsgerichts, die Aussetzung des Rechtsstreits nach § 149 Abs. 1 ZPO abzulehnen, ist nicht zu beanstanden.

1. Gemäß § 149 Abs. 1 ZPO kann das Gericht, wenn sich im Laufe eines Rechtstreits der Verdacht einer Straftat ergibt, deren Ermittlung auf die Entscheidung von Einfluss ist, die Aussetzung der Verhandlung bis zur Erledigung des Strafverfahrens anordnen. Unstreitig ist, dass eine Aussetzung auch erfolgen kann, wenn - wie hier - das Strafverfahren bereits vor Einreichung der Klage eingeleitet worden ist Zöller/Greger, ZPO, 34. Auflage 2022, § 149 ZPO, Rn 1).

2. Zweck des § 149 ZPO ist es, dem Zivilrichter die Möglichkeit zu geben, sich die besseren Erkenntnismöglichkeiten eines Strafverfahrens dann zunutze zu machen, wenn sich eine schwierige Beweislage im Zivilrechtsstreit voraussichtlich nicht oder nicht so gut wie im Ermittlungsverfahren wird klären lassen. Die Tatsachen, die in diesem Sinne eine Aussicht auf bessere Erkenntnis im Strafverfahren eröffnen, sind im Rahmen der Ermessensentscheidung nach § 149 Abs. 1 ZPO abzuwägen gegen das achtenswerte Interesse des Klägers an einer alsbaldigen Entscheidung über sein Begehren (OLG Frankfurt, Beschluss vom 01.02.2001 - 24 W 5/01 - juris, Rn 6). Di...

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