Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitsunfall. Wegeunfall. Betriebsweg. Haftungsausschluss. Haftungsprivileg. Haftungsausschluss für Personenschäden infolge eines Betriebswegeunfalls
Leitsatz (amtlich)
1. Bei einem Unfall auf einer als Sammeltransport vom Arbeitgeber organisierten Fahrt mit einem firmeneigenen Fahrzeug vom Betriebssitz des Arbeitgebers zu einer auswärtigen Baustelle handelt es sich nicht um einen Wegeunfall, sondern um einen Unfall auf einem Betriebsweg. Hier greift zugunsten des Arbeitgebers das Haftungsprivileg der §§ 104 Abs. 1 S. 1, 105 Abs. 1 S. 1 SGB VII i. V. m. § 8 Abs. 1 SGB VII.
2. Der Haftungsausschluss für unfallbedingte Personenschäden greift auch dann, wenn ein Arbeitnehmer mit Erlaubnis des Arbeitgebers den Firmen-LKW abends mit nach Hause nimmt, um am nächsten Arbeitstag von Zuhause aus mit dem Firmen-LKW direkt zur Baustelle zu fahren und auf der Strecke andere Kolonnenmitarbeiter „einzusammeln” und zur Baustelle mitzunehmen.
Normenkette
SGB VII §§ 104, 8 Abs. 1, 2 Nr. 1; BGB § 847
Verfahrensgang
ArbG Kiel (Urteil vom 11.12.2008; Aktenzeichen 5 Ca 1204 d/08) |
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Kiel vom 11.12.2008, Az.: 5 Ca 1204 d/08, wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gegen dieses Urteil ist das Rechtsmittel der Revision nicht gegeben; im Übrigen wird auf § 72 a ArbGG verwiesen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt von den Beklagten als Gesamtschuldner Schmerzensgeld und Schadensersatz.
Der 21-jährige Kläger war bei der Beklagten vom 18.01.2006 bis zum 30.05.2006 als Verputzer (Bauhelfer) beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis endete aufgrund Arbeitgeberkündigung innerhalb der Probezeit.
Am 22.03.2006 wartete der Kläger morgens verabredungsgemäß am vereinbarten Treffpunkt „W. R.” in K.-M., um mit seinen Kollegen B. und G. zu einer Baustelle in P. zu fahren. Der bei der Beklagten beschäftigte Zeuge B. kam mit dem Firmen-LKW und sammelte den Kläger ein. Kurz darauf fuhr der Zeuge B. ungebremst auf einen haltenden Linienbus auf. Der zu dem Zeitpunkt nicht angeschnallte Kläger flog durch die Windschutzscheibe und zog sich zahlreiche Schnittverletzungen mit ca. 300 Glassplittereinsprengungen der Gesichtsweichteile und der Nase zu. Der Kläger wurde infolge des Unfalls bis zum 27.03.2006 stationär behandelt. Am 25.04.2006 wurden ambulant in Lokalanästhesie Fremdkörper am rechten Unterlid, am rechten Hals sowie am linken Unterkieferrand entfernt. Am 25.04.2006 wurden weitere Glassplitter am rechten Oberlid, am Hals und am linken Unterkieferrand entfernt. Am 12.12.2006 musste der Kläger sich wegen der asymmetrischen Verformung der Nase in der Poliklinik vorstellen, da die Nase auch breiter war als vorher und eine Korrektur notwendig war. Am 16.03.2007 erfolgte eine Septinorhinoplastik mit Ohrknorpeltransplantation von der Ohrmuschel beidseits in Intubationsnarkose. Hierfür war ein stationärer Aufenthalt vom 15.03.2007 bis zum 23.03.2007 notwendig. Postoperativ erfolgten sodann zwei weitere Nachsorgetermine am 30.03. und am 25.05.2007. Am 08.02.2008 erfolgte erneut eine Entfernung von zwei Glassplittern präaurikulär links und am Unterkieferrand links sowie beidseitig eine Narbenkorrektur vorgenommen. In dem ärztlichen Bericht aus dem Februar 2008 wird dem Kläger bescheinigt, dass auch weiterhin bis zum Lebensende damit zu rechnen sei, dass immer wieder Glassplitter auftauchen, die entfernt werden müssten. Weitere Narbenkorrekturen seien ebenfalls nicht auszuschließen (vgl. den ärztlichen Bericht Bl. 12-14 d. A. sowie die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen Bl. 15 d. A. und den ärztlichen Bericht Bl. 16-17 d. A.).
Die Beklagte zu 1) ist Eigentümerin und Halterin des verunfallten Transporters und die Beklagte zu 2) ist die verantwortliche Kfz-Haftpflichtversicherung. Mit Schreiben vom 23.05.2007 forderte der Kläger die Beklagte zu 2.) auf, bezüglich Schmerzensgeld und künftig zu erwartender materieller und immaterieller Schäden eine Haftungserklärung abzugeben (Bl. 18-21 d. A.), was die Beklagte zu 2) mit Schreiben vom 04.07.2007 ablehnte.
Mit seiner am 02.04.2008 erhobenen Klage hat der Kläger
die Beklagten zu 1) und 2) weiterhin als Gesamtschuldner auf Schmerzensgeld, vorgerichtlich entstandener Rechtsanwaltskosten und Erstattung künftig zu erwartender materieller und immaterieller Schäden in Anspruch genommen. Er hat behauptet, dass eigentlich der Zeuge G. ihn in dessen Privatfahrzeug habe mitnehmen sollen. Sie hätten erst zum Betriebssitz fahren wollen, um von dort aus mit dem Firmen-Lkw zur Baustelle nach P… zu fahren. Widererwartend sei dann der Zeuge B. zum Treffpunkt mit dem Firmen-Lkw gekommen. Der Zeuge B. sei auch nicht Arbeitnehmer der Beklagten zu 1) gewesen, sondern habe dort „schwarz” gearbeitet. Bei dem Unfall handele es sich mithin um einen dem Haftungsprivileg nicht unterfallenden Wegeunfall und nicht um einen Betriebswegeunfall. Es sei auch in der Vergangenheit mehrfach vorgek...