Handgreiflicher Streit mit anderem Verkehrsteilnehmer – muss die Unfallversicherung zahlen?
Ein angestellter Baustellenleiter, der mit seinem Auto auf das Betriebsgelände seines Arbeitgebers fahren wollte, wurde daran von einem Lkw-Fahrer gehindert. Dieser hatte die Einfahrt zugeparkt. Der Baustellenleiter betrat das Firmengelände daraufhin zu Fuß, um Werkzeug zu verladen. Als er wieder in Richtung seines Autos ging, stellte er den Lkw-Fahrer zur Rede und es kam zur Eskalation. Nach einem verbalen Streit wurde die Auseinandersetzung körperlich. Der Lkw-Fahrer schlug den Baustellenleiter hart ins Gesicht. Dieser erlitt eine Mittelgesichtsfraktur, die operiert werden musste.
Gesetzliche Unfallversicherung weigerte sich für die Folgen des körperlichen Angriffs zu zahlen
Die beklagte gesetzliche Unfallversicherung weigerte sich, für den Schaden einzustehen. Der Baustellenleiter habe zum Zeitpunkt des Unfalls zwar zum Kreis der nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII versicherten Personen gehört. Zum Unfallzeitpunkt sei er allerdings nicht einer unfallversicherten Tätigkeit nachgegangen, da er sich von der eigentlich versicherten Tätigkeit gelöst habe. Dagegen klagte der Baustellenleiter.
Kammergericht (KG) Berlin: Nicht alle Wege, die Beschäftigte zurücklegen, sind versichert
Das KG Berlin sah in dem Unfall ebenso keine versicherte Tätigkeit. Es stünden nämlich nicht alle Wege, die ein Beschäftigter während der Arbeitszeit und/oder auf der Arbeitsstätte zurücklegt, unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Versichert seien nur solche Wege, bei denen ein sachlicher Zusammenhang zwischen der – grundsätzlich – versicherten Tätigkeit und dem Zurücklegen des Weges gegeben ist, weil der Weg durch die Ausübung des Beschäftigungsverhältnisses oder den Aufenthalt auf der Betriebsstätte bedingt ist.
Nach Einschätzung des Gerichts kam es mit dem Zur-Rede-Stellen des Lkw-Fahrers zu einer Unterbrechung der versicherten Tätigkeit. Ab diesem Moment habe das Handeln des Klägers privaten Zwecken gedient.
Streit und Schlägereien mit anderen Verkehrsteilnehmern sind dem privaten Lebensbereich zuzuordnen
In der obergerichtlichen Rechtsprechung sei anerkannt, dass insbesondere das Zurechtweisen anderer Verkehrsteilnehmer auf dem Weg zur Arbeit oder auf Betriebswegen nicht der betrieblichen Tätigkeit diene. Etwaige hieraus resultierende Verletzungen seien unabhängig vom Verschulden dem privaten Lebensbereich zuzuordnen.
Fazit: Der klagende Baustellenleiter hatte sich zum Zeitpunkt der Verletzung durch den Lkw-Fahrer von seiner beruflichen Tätigkeit gelöst. Ein Versicherungsfall lag deshalb nicht vor und damit auch kein Anspruch gegen die gesetzliche Unfallversicherung.
(SG Berlin, Urteil v. 16.02.2023, S 98 U 50/21)
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