Entscheidungsstichwort (Thema)
außerordentliche Kündigung. Verdachtskündigung. Tatkündigung. dringender Tatverdacht. Anhörung des Verdächtigten. Unterschlagung. neue Verdachtsmomente. Abgrenzung zwischen Verdachtskündigung und Tatkündigung
Leitsatz (amtlich)
1. Wenn eine außerordentliche Kündigung nur mit dem dringenden Verdacht einer Straftat begründet wird, nach der Überzeugung des Gerichts die Straftat indessen nachgewiesen ist, lässt dies die Wirksamkeit der Kündigung aus materiell-rechtlichen Gründen unberührt. Unter der Voraussetzung, dass zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung der dringende Tatverdacht vorlag, ist das Gericht nicht gehindert, die zwischenzeitlich, d.h. im Verlaufe des Kündigungsrechtsstreits, nachgewiesene Pflichtwidrigkeit als wichtigen Kündigungsgrund anzuerkennen (BAG, Urt. v. 03.07.2003 – 2 AZR 437/02 –).
2. Voraussetzung für ein derartiges Umschwenken von einer Verdachts- zur Tatkündigung ist jedoch, dass die Verdachtskündigung von vornherein begründet war. Hieran fehlt es, wenn der Tatverdacht bei Ausspruch der Kündigung mangels Anhörung des verdächtigen Arbeitnehmers oder sonstiger erforderlicher Sachverhaltsermittlungen noch nicht dringend war. In diesem Falle verbleibt dem Arbeitgeber nur, nach Abschluss des Ermittlungs- oder Strafverfahrens eine Tatkündigung auszusprechen, soweit die Voraussetzungen hierfür vorliegen.
Normenkette
BGB § 626 Abs. 1; KSchG § 1 Abs. 2, § 13 Abs. 1, §§ 9-10
Verfahrensgang
ArbG Neumünster (Urteil vom 07.06.2006; Aktenzeichen 3 Ca 528 a/06) |
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Neumünster vom 07.06.2006, Az. 3 Ca 528 a/06, wird zurückgewiesen.
2. Auf Antrag beider Parteien wird das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung in Höhe von 4.464,14 EUR nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 05.11.2006 zum 17.03.2006 aufgelöst.
3. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien führen einen Kündigungsrechtsstreit.
Der 32-jährige Kläger ist geschieden und zwei Kindern gegenüber unterhaltsverpflichtet. Er ist seit dem 12.02.2003 bei der Beklagten als Autoverkäufer zu einem durchschnittlichen Monatsgehalt von EUR 2.976,10 brutto beschäftigt. Seit dem 22.02.2006 war der Kläger arbeitsunfähig krank. Mit Anwaltsschreiben vom 08.03.2006 rügte der Kläger zu Recht die falsche Berechnung seiner Entgeltfortzahlungsansprüche. Am 10.03.2006 führten der Kläger und der Geschäftsführer der Beklagten ein Gespräch, deren Verlauf unerfreulich verlief. Der Inhalt des Gesprächs ist zwischen den Parteien streitig.
Mit Schreiben vom 14.03.2006 kündigte die Beklagte dem Kläger – ohne Angabe von Kündigungsgründen – fristgerecht zum 15.04.2006 (Bl. 5 d.GA.). Mit weiterem Schreiben vom 17.03.2006 sprach die Beklagte gegenüber dem Kläger die „fristlose Kündigung auf Verdacht des Betruges aus” und wies darauf hin, dass sie von einer Strafanzeige absehe, wenn der Kläger den Betrug schriftlich zugebe und den Betrag ausgleiche (Bl. 6 d.GA.). Vor Ausspruch der außerordentlichen Kündigung hatte die Beklagte den Kläger nicht angehört.
Mit seiner am 21.03.2006 vor dem Arbeitsgericht erhobenen Kündigungsfeststellungsklage wehrt sich der Kläger gegen beide Kündigungen.
Die Beklagte hat vorgetragen,
der Kläger habe der Zeugin D. einen Opel Zafira zu einem Verkaufspreis von EUR 12.480,00 verkauft. Unter Berücksichtigung eines finanzierten Betrages und einer Gutschrift für die Inzahlungnahme eines Fahrzeugs sei zulasten der Zeugin D. noch ein Rechnungsbetrag über EUR 2.500,00 offen gewesen. Auch bei dem Kunden D. sei noch eine Kaufforderung über einen Teilbetrag in Höhe von EUR 500,00 offen gewesen. Ihr Geschäftsführer habe den Kläger mehrfach angewiesen, die Zeugin D. wegen der offenen Forderung anzumahnen. Als sie, die Beklagte, ihn mit Nachdruck aufgefordert habe, sich um den Zahlungseingang zu kümmern, habe der Kläger in einem unerfreulichen Gespräch vom 10.03.2006 erklärt, die Beklagte solle ihm am besten kündigen. Daraufhin habe sie die ordentliche Kündigung vom 14.03.2006 ausgesprochen. Ihr, der Beklagten, sei dann der Verdacht aufgekommen, dass die Kunden D. und D. eventuell doch schon gezahlt hätten. Sie habe den Kunden D. mit Schreiben vom 15.03.2006 um Klärung des noch offenen Rechnungsbetrages gebeten (Bl. 21 d.GA.). Der Zeuge D. habe sodann telefonisch versichert, dass er den vollen Betrag über EUR 15.000,00 am 21.04.2005 in bar an den Kläger gezahlt habe. Laut Kassenausdruck der Zeugin C. sei jedoch nur ein Betrag über EUR 14.500,00 verbucht worden. Am 14.03.2006 sei ihr Geschäftsführer zudem über den Vorfall B. gestoßen. Herr B. habe über den Kläger einen Opel Corsa für einen Mietpreis von EUR 150,00 gemietet, den der Zeuge B. bei Rückgabe des Fahrzeugs auch an den Kläger bezahlt habe. Der Kläger habe das Geld indessen nicht an sie weitergeleitet, sondern – wie sich herausgestellt habe – unterschlagen. Nach Ausspruch der Kündigung habe sich dann zusätzlich der Verdach...