Entscheidungsstichwort (Thema)
Kündigung, betriebsbedingt. Sozialauswahl. Punkteschema. Beurteilungsspielraum. Behinderung. Schwerbehinderung. Gleichstellung. Grad der Behinderung
Leitsatz (redaktionell)
§ 1 Abs. 3 KSchG lässt es auch zu, nicht nur eine festgestellte Schwerbehinderung/Gleichstellung des Arbeitnehmers zu berücksichtigen, sondern auch besondere Behinderungen, die einer weiteren Arbeitsvermittlung erheblich entgegenstehen, in die Prüfung der Sozialauswahl einzubeziehen. Derartige besondere soziale Gesichtspunkte darf der Arbeitgeber berücksichtigen, er muss es jedoch nicht.
Normenkette
KSchG § 1 Abs. 3; SGB IX § 2 Abs. 2
Verfahrensgang
ArbG Elmshorn (Urteil vom 02.05.2007; Aktenzeichen 4 Ca 122 c/07) |
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Elmshorn vom 02.05.2007 – 4 Ca 122 c/07 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung.
Die Klägerin ist am …1975 geboren und seit dem 26.08.1996 bei dem Beklagten bzw. dessen Rechtsvorgängerin tätig. Sie ist verheiratet und zwei Kindern gegenüber unterhaltspflichtig. Sie arbeitet als Verkäuferin in Teilzeit und erhält monatlich 409,00 Euro brutto. Seit dem 12.05.2006 ist eine Behinderung mit einem Grad von 20 Prozent anerkannt.
Der Beklagte betreibt mehrere Filialen. Das Kündigungsschutzgesetz ist anwendbar. Anfang November 2006 traf er die Entscheidung, in 2007 insgesamt drei Filialen – H. zum 31.01.2007, M. und H.-Center zum 31.03.2007 – zu schließen. Dadurch entfiel ein Gesamtstundenvolumen an Arbeitszeit von 127,5 Stunden. Hierüber unterrichtete der Beklagte die Belegschaft auf einer Betriebsversammlung am 26.11.2006, auf der auch die Klägerin anwesend war.
Im Anschluss daran klärte der Beklagte mit seinem Prozessbevollmächtigten wie und nach welchen Kriterien die soziale Auswahl durchgeführt werden müsse. Sodann kündigte er insgesamt – mit der Klägerin – 11 Mitarbeitern, davon 5 Verkäuferinnen, nachdem zuvor Massenentlassungsanzeige erstattet hatte und die Genehmigung erfolgt war. Im Rahmen der Sozialauswahl, die der Beklagte auf Basis eines Punktesystems auf der Grundlage der Entscheidung des BAG vom 05.12.2002 (NZA 2003, Seite 791) durchführte, berücksichtigte der Beklagte neben Betriebszugehörigkeit, Lebensalter und Unterhaltsverpflichtung die Schwerbehinderung wie folgt:
„Schwerbehinderung
bis 50 Prozent 5 Punkte
über 50 Prozent je 10 Punkte” (Bl. 19 d.A.).
Dabei ergab sich – ohne Berücksichtigung eines GdB bezüglich der Klägerin und der Ehefrau des Beklagten die gleiche Punktzahl (57 Punkte). Der Beklagte kündigte daraufhin der Klägerin, seiner Ehefrau jedoch nicht. Ebenso wurde allen Verkäuferinnen mit einer Punktzahl von weniger als 57 Punkten gekündigt. Frau B. mit 59 Punkten und Frau E. mit 58 Punkten blieben ungekündigt. Bei Berücksichtigung des GdB hätte die Klägerin eine Punktzahl von 62 Punkten.
Im Wesentlichen hierauf stützt sie ihr Vorbringen im Kündigungsschutzverfahren. Das Arbeitsgericht hat die Kündigungsschutzklage abgewiesen. Das geschah u.a. mit der Begründung, den Beklagten treffe keine Erkundigungspflicht bezüglich der Richtigkeit und Vollständigkeit der Sozialdaten seiner Arbeitnehmer. Vielmehr habe die Klägerin den Arbeitgeber vor Ausspruch der Kündigung von sich aus über den GdB von 20 informieren müssen. Zudem habe der Beklagte den ihm im Rahmen von § 1 Abs. 3 KSchG zustehenden Beurteilungsspielraum nicht überschritten. Hinsichtlich der Einzelheiten der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils vom 02.05.2007 verwiesen. Gegen diese der Klägerin am 24.07.2007 zugestellte Entscheidung legte sie am 24.08.2007 Berufung ein, die sofort begründet wurde.
Sie vertritt nach wie vor die Ansicht, an Stelle der Klägerin habe der Beklagte den Kolleginnen B., E. oder St. kündigen müssen. Bei der Sozialauswahl habe sie fünf Punkte zu wenig erhalten, da ihr GdB von 20 nicht berücksichtigt wurde. Insoweit habe sie keine Offenbarungspflicht gehabt. Vielmehr habe sich der Beklagte vor Ausspruch der Kündigung bei ihr erkundigen müssen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichtes Elmshorn vom 02.05.2007 – 4 Ca 122 c/07 – wird abgeändert. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die schriftliche Kündigung des Beklagten vom 27.12.2006 nicht aufgelöst ist, sondern unverändert fortbesteht.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil sowohl in tatsächlicher, als auch in rechtlicher Hinsicht für zutreffend. Seines Erachtens stehen der Klägerin im Zusammenhang mit der Sozialauswahl keine weiteren fünf Punkte zu, da sie mit einem GdB von 20 noch nicht schwerbehindert und damit noch nicht einmal mindestens einem Schwerbehinderten gleichstellbar sei. Der Beklagte habe mit seiner Punktetabelle das Vorliegen einer Schwerbehinderung vorausgesetzt, nicht jedoch nur einer allgemeinen Behinderung im arbeitsrechtlichen Sinne. Im...