Entscheidungsstichwort (Thema)
fristlose Kündigung. fristgemäße Kündigung. soziale Rechtfertigung. Arbeitsunfähigkeit. Anzeigepflicht. Abmahnung. Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Annahmeverzug. Zurückbehaltungsrecht. Verfallsfrist. Ausschlußfrist. Geltendmachung. Bezifferung. Rechtsmißbrauch. Treu und Glauben. Niederschrift. wesentliche Vertragsbedingung. Hinweispflicht. Zinsen. Nettobetrag. Leistungsklage. Bestimmtheitsgebot
Leitsatz (amtlich)
1. Gelten für die Ansprüche des Arbeitnehmers umfassende Verfallsfristen, die die gesetzlichen Verjährungsfristen wesentlich unterschreiten, handelt es sich um eine wesentliche Vertragsbedingung im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 Nachweisgesetz. Der Arbeitgeber muß solche Verfallsfristen deshalb ausdrücklich in den Nachweis aufnehmen.
2. Dies gilt auch dann, wenn die Verfallsfrist in einem für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrag enthalten ist, der normativ auf das Arbeitsverhältnis einwirkt.
3. Verletzt der Arbeitgeber seine Verpflichtung, den Arbeitnehmer gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 Nachweisgesetz über eine Verfallsfrist zu informieren, kann er sich nach Treu und Glauben auf eine Versäumung dieser Frist nicht berufen.
Normenkette
BGB § 626 Abs. 1, §§ 242, 296, 298, 615; KSchG § 1 Abs. 1; Entgeltfortzahlungsgesetz § 4 Abs. 1-2; BRTV Bau § 16; Nachweisgesetz § 2 Abs. 1; EWGRL 533/91; ZPO § 308 Abs. 1 S. 1, § 253 Abs. 2 Nr. 2
Verfahrensgang
ArbG Kiel (Urteil vom 08.09.1999; Aktenzeichen 3 Ca 3109 b/98) |
Tenor
Das Urteil des Arbeitsgerichts Kiel vom 8.9.99 – 3 Ca 3109 b/98 – wird hinsichtlich der Ziff. 2 – wie folgt – abgeändert:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 20.125,26 DM brutto zu zahlen.
Im übrigen wird die Zahlungsklage abgewiesen und die Berufung zurückgewiesen.
Die Kosten der zweiten Instanz hat die Beklagte zu tragen.
Die Revision wird hinsichtlich des Zeitraums 1.11.98–4.12.98 für die Beklagte und hinsichtlich der Entscheidung über die Zinsen für den Kläger zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer fristlosen Kündigung und um Lohnforderungen des Klägers für die Zeit vor und nach der Kündigung.
Die Beklagte beschäftigte im zweiten Halbjahr 1998 in der Regel mehr als 10 Arbeitnehmer. Sie ist ein Unternehmen, das sich im Bereich des Bautenschutzes betätigt.
§ 16 des Bundesrahmentarifvertrages für das Baugewerbe (im folgenden BRTV Bau) bestimmt:
- „Alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und solche, die mit dem Arbeitsverhältnis in Verbindung stehen, verfallen, wenn sie nicht innerhalb von zwei Monaten nach der Fälligkeit gegenüber der anderen Vertragspartei schriftlich erhoben werden.
- Lehnt die Gegenpartei den Anspruch ab oder erklärt sie sich nicht innerhalb von zwei Wochen nach der Geltendmachung des Anspruchs, so verfällt dieser, wenn er nicht innerhalb von zwei Monaten nach der Ablehnung oder dem Fristablauf gerichtlich geltend gemacht wird. Dies gilt nicht für Zahlungsansprüche des Arbeitnehmers, die während eines Kündigungsschutzprozesses fällig werden und von seinem Ausgang abhängen. Für die Ansprüche beginnt die Verfallsfrist von zwei Monaten nach rechtskräftiger Beendigung des Kündigungsschutzverfahrens.”
Der Kläger wurde von der Beklagten im März 1998 als Fahrer eingestellt. Ein schriftlicher Arbeitsvertrag ist für dieses Arbeitsverhältnis nicht geschlossen worden. Dem Kläger wurde auch keine Niederschrift mit den wesentlichen Vertragsbedingungen ausgehändigt.
Die Parteien vereinbarten einen Stundenlohn von 20,38 DM. In seine Wochenzettel trug der Kläger pro Arbeitstag 7,75 Stunden ein, was die Beklagte stets akzeptierte. Die Lohnabrechnung erfolgte monatlich.
Zwischen den Parteien ist streitig, ob dem Kläger die Abmahnungen Bl. 14–18 d. A. zugegangen sind und ob der darin erhobene Vorwurf, er habe am 06.10.1997, am 07.05.1998 und am 08.10.1998 unentschuldigt gefehlt, zutrifft.
Vom 01. bis 04.12.1998 war der Kläger arbeitsunfähig erkrankt. Mit einem ihm am Samstag, dem 05.12.1998, zugegangenen Schreiben vom 01.12.1998 (Bl. 4 d. A.) kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis fristlos. Der Kläger hatte versucht, dem Geschäftsführer der Beklagten die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung per Einschreiben zu übermitteln. Der am 02.12.1998 abgestempelte Brief (Bl. 10 d. A.) wurde ihm mit dem am 03.12.1998 ausgestellten Vermerk „Annahme verweigert” zurückgesandt. Zwischen den Parteien ist streitig, ob die Schwester des Klägers – wie von diesem behauptet – bereits am 01.12.1998 versucht hat, die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung und den Wochenzettel des Klägers mit den Stundenangaben für November 1998 im Betrieb der Beklagten zu überreichen und dort mit dem Bemerken:
„Von B. B. nehmen wir nichts mehr an.” zurückgewiesen worden war.
Für November 1998 zahlte die Beklagte dem Kläger keine Vergütung.
Mit einem per Telefax übermittelten Anwaltsschreiben vom 22.12.1998 (Bl. 54 d. A.) bot der Kläger der Beklagten seine Arbeitskraft an. Am gleichen Tag reichte er Kündigungsschutzklage ein.
Nachdem die Beklagte am 07.01.1999 telefonisc...