Entscheidungsstichwort (Thema)
Fristlose Kündigung. kein Verschulden
Leitsatz (amtlich)
Verhaltensbedingte Gründe können in der Regel nur dann eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen, wenn der Arbeitnehmer nicht nur objektiv und rechtswidrig, sondern auch schuldhaft seine arbeitsvertraglichen Pflichten verletzt hat. Dies gilt indessen ausnahmsweise dann nicht, wenn der Arbeitnehmer durch fortlaufendes Fehlverhalten die betriebliche Ordnung bzw. die Sicherheitsvorschriften derart erheblich und nachhaltig verletzt, dass dem Arbeitgeber die Aufrechterhaltung dieses Zustandes selbst dann nicht zumutbar ist, wenn der Arbeitnehmer schuldlos gehandelt hat.
Normenkette
BGB § 626 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Lübeck (Urteil vom 09.09.2010; Aktenzeichen 2 Ca 646/10) |
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Lübeck vom 09.09.2010, Az. 2 Ca 646/10, wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung.
Der 52-jährige Kläger ist bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin seit dem 01.01.1986 als Sachbearbeiter zu einem Monatsgehalt von EUR 3.880,00 brutto be-schäftigt. Im März 2010 war der Kläger Mitglied des Wahlvorstandes, der die Betriebsratswahlen im Betrieb der Beklagten vorbereitete.
Im Jahr 2008 stand der Kläger unter erheblichem mentalem Druck, der aus der Trennung von seiner Ehefrau im Juni 2008 und der sich daraus erwachsenden Auseinandersetzung um das Umgangsrecht mit dem gemeinsamen Sohn resultierte. Infolgedessen unterzog sich der Kläger Ende Juli/Anfang August 2008 einer dreiwöchigen ambulanten psychologischen Behandlung. Im Dezember 2008 erlitt der Kläger einen „Zusammenbruch” und war bis Mitte 2009 arbeitsunfähig krank. Vom 29.03. bis 02.06.2010 befand sich der Kläger aufgrund einer schweren depressiven Episode in klinischer Behandlung; insoweit wird auf den medizinischen Befundbericht des A. Klinikums H. vom 01.09.2009 verwiesen (Bl. 138 ff. d. A.). Im Rahmen des streitigen Umgangsrechts betreffend den am ….1996 geborenen Sohn des Klägers verfasste die Diplom-Psychologin S. im Auftrag des Familiengerichts E. ein Gutachten, in welchem sie auch auf die psychische Erkrankung des Klägers einging (Bl. 80 – 107 d. A.). Seit Mitte 2009 wies die Beklagte dem Kläger die Stelle des PCN-Koordinators zu. In dieser Funktion war der Kläger zuständig für Benachrichtigungen über die Änderungen an Produktionsverfahren. Seit Anfang 2010 unterstützt der Kläger zudem den Projektleiter. Vorgesetzte des Klägers ist die Prokuristin v. d. B..
Am 08.02.2010 führten der Geschäftsführer F. und die Zeugin v. d. B. in Anwesenheit der Zeugin R. mit dem Kläger wegen dessen anzüglicher Bemerkungen gegenüber seinen Kolleginnen ein Personalgespräch. Der Kläger wurde aufgefordert, derartige Bemerkungen zu unterlassen. Am 10.02.2010 verließen die Prokuristin v. d. B. sowie die Mitarbeiterinnen F. und P. gemeinsam das Großraumbüro. Als auf die Frage des Kollegen V., wer von den Kolleginnen denn noch anwesend sei, sich die Zeugin P. meldete, kommentierte der Kläger dies mit den Worten: „Besser eine Frau mit Charakter als drei Schlampen!” Für diese Äußerung erhielt der Kläger eine Abmahnung vom 10.02.2010 (Bl. 34 d. A.).
Am 25.02.2010 kündigte der Kläger seinen im Großraumbüro anwesenden neun Kolleginnen und Kollegen mit, dass er, sobald die Prokuristin v. d. B. erscheine, „eine Bombe platzen lassen werde”. Die Kolleginnen und Kollegen sollten auf jeden Fall bleiben. Als die Vorgesetzte des Klägers sodann gegen 13:40 Uhr das Büro betrat, hielt der Kläger dieser zwei Medikamentenbehältnisse vor und fragte sie, ob sie die Gegenstände kenne. Nachdem die Zeugin v. d. B. dies verneint hatte, erklärte der Kläger, dass sie diese Gegenstände bei dem bei der Tochtergesellschaft K. S. C. angestellten Zeugen S. vergessen habe, als sie bei diesem eine Nacht verbracht habe. Denn ihr Auto habe die ganze Nacht vor dessen Einfahrt gestanden, was Zeugen bestätigen könnten. Zudem bemerkte der Kläger, dass Herr S. HIV-positiv sei und ihr, Frau v. d. B., somit klar sein müsse, was „sie sich damit eingefangen habe”.
Die Zeugin v. d. B. informierte hierüber sogleich den Personalleiter der Beklagten sowie den weiteren Geschäftsführer der Beklagten, Herrn S., woraufhin der Kläger umgehend von der Erbringung seiner Arbeitsleistung freigestellt wurde. Frau v. d. B. und Herr S. erstatteten wegen der Äußerungen des Klägers Anzeige bei der Polizei in B. M..
Mit Schreiben vom 01.03.2010 beantragte die Beklagte beim Betriebsrat die Zustimmung zur außerordentlichen fristlosen Kündigung des Klägers. Mit Schreiben vom 03.03.2010 stimmte der Betriebsrat der beabsichtigten Kündigung zu.
Mit Schreiben vom 03.03.2010 – dem Kläger am gleichen Tage ausgehändigt – kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis des Klägers fristlos.
Hiergegen hat der Kläger am 05.03.2010 vor dem Arbeitsgericht Lübeck Kündigungsfestst...