Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebsbedingte Kündigung. Umgehung von Kündigungsschutz
Leitsatz (redaktionell)
Kündigt ein Arbeitgeber einem Arbeitnehmer so frühzeitig, hier im Dezember 2009 zum 31.12. 2011, dass es diesem dadurch praktisch unmöglich gemacht wird, zu entstehenden Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten vorzutragen und damit seiner Darlegungslast im Kündigungsschutzprozess nachzukommen, liegt darin eine Umgehung des Kündigungsschutzgesetzes mit der Folge der Rechtsmissbräuchlichkeit der ausgesprochenen Kündigung.
Normenkette
KSchG § 1
Verfahrensgang
ArbG Lübeck (Urteil vom 29.04.2010; Aktenzeichen 2 Ca 71/10) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Lübeck vom 29.04.2010 – 2 Ca 71/10 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung.
Die Beklagte ist eine 100%ige Tochtergesellschaft der M. Hotel & Resorts AG. Sie betreibt in Deutschland Hotels. Im M. Hotel in L. beschäftigt sie 132 Arbeitnehmer.
Die am …1972 geborene Klägerin ist verheiratet und 2 Kindern gegenüber zum Unterhalt verpflichtet. Sie ist seit dem 01.07.1999 bei der Beklagten beschäftigt, zuletzt als Zimmermädchen. Sie arbeitet im Hotelbetrieb M. in L. mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 39 Stunden bei einem Bruttomonatsgehalt in Höhe von 1.089,00 EUR.
Die Alleingesellschafterin der Beklagten befasste sich am 18.11.2009 mit der strategischen Ausrichtung der von der Beklagten in Deutschland betriebenen Hotels, u. a. des M. Hotels in L.. Die Alleingesellschafterin beschloss, den für das Hotelgebäude in L. bestehenden Mietvertrag nicht zu verlängern, sondern zum 31.12.2011 auslaufen zu lassen, zu diesem Zeitpunkt den Hotelbetrieb in L. einzustellen und, soweit notwendig, bestehende Arbeitsverhältnisse zu kündigen (vgl. Anlage B1-2 = Bl. 28 ff. d. A.). Die Beklagte sprach mit Schreiben vom 11.12.2009 gegenüber der Vermieterin des Hotelgrundstücks, der H. I. GmbH & Co. KG, die fristgemäße Kündigung zum 31.12.2011 aus (Anlage B 3 = Bl. 32 d. A.). Bei der Agentur für Arbeit erstattete die Beklagte Anzeige gemäß § 17 KSchG. Mit Bescheid vom 15.01.2010 sah die Agentur für Arbeit von einer Änderung der Sperrfrist nach § 18 KSchG ab.
Am 17.12.2009 hielt die Beklagte im Hotelbetrieb in L. eine Betriebsversammlung ab. Sie unterrichtete die Belegschaft darüber, dass die Geschäftsführung der Beklagten sich entschieden habe, den Mietvertrag nicht über den 31.12.2011 hinaus zu verlängern und den Hotelbetrieb zu diesem Zeitpunkt einzustellen. Ausgangs der Betriebsversammlung wurde den anwesenden Mitarbeitern, unter anderem der Klägerin, die Kündigung zum 31.12.2011 übergeben (Anlage B 4 = Bl. 33 d. A.). Die Mitarbeiter erhielten gleichzeitig ein Begleitschreiben. Wegen des Inhalts wird auf Anlage B 7 – Bl. 42 der Akte verwiesen.
Die Klägerin hat am 07.01.2010 Kündigungsschutzklage erhoben. Sie hat die Auffassung vertreten, die Kündigung vom 17.12.2009 sei unwirksam. Dringende betriebliche Erfordernisse lägen nicht vor. Es handele sich um eine Vorratskündigung.
Die Klägerin hat beantragt,
festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 17.12.2009 nicht beendet wird.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat die Ansicht vertreten, es handele sich um keine unzulässige Vorratskündigung. Die unternehmerische Entscheidung, den Mietvertrag auslaufen zu lassen und den Hotelbetrieb zum 31.12.2011 zu schließen, sei abschließend getroffen worden. Die Kündigung sei auch nicht deshalb unzulässig, weil sie mit einer langen Frist ausgesprochen sei. Die Beklagte verstehe sich als soziale Arbeitgeberin. Sie habe den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern durch die rechtzeitige Kündigung die Möglichkeit geben wollen, sich frühzeitig umzuorientieren. Sämtliche Rechte der Klägerin seien gewahrt, weil bei Fortführung des Hotelbetriebes durch einen anderen Erwerber ein Betriebsübergang vorliegen würde. Selbst wenn die Beklagte den Betrieb fortführen sollte, sei die Klägerin durch den Wiedereinstellungsanspruch geschützt. Schließlich verfüge die Beklagte über eine interne Stellenbörse, im Rahmen derer die von Schließungen betroffenen Mitarbeiter bevorzugt bei einer Vermittlung innerhalb der M.-Gruppe berücksichtigt würden.
Die vormaligen Verfahrensbevollmächtigten der Beklagten haben mit Schriftsatz vom 19.02.2010 (Bl. 14 f. d. A.) die Kündigungen auch damit begründet, hierdurch die Folgen der Entscheidung des BAG vom 22.10.1991 (1 ABR 17/91) vermeiden zu wollen. In dem Schriftsatz hatten sie der Klägerin angeboten, die Kündigung bei Verzicht auf Sozialplanansprüche als gegenstandslos anzusehen. Die Klägerin hat den Vergleich nicht angenommen.
Das Arbeitsgericht hat der Klage mit Urteil vom 29.04.2010 stattgegeben. Die Kündigung der Beklagten vom 17.12.2009 sei sozial ungerechtfertigt. Es lägen keine dringenden betrieblichen Erfordernisse im Sinne von § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG vor. Der endgültige Entschluss der Be...