Entscheidungsstichwort (Thema)
Außerordentliche Kündigung. Abmahnungserfordernis. Pflegemängel. Fristlose Kündigung wegen unterlassener Pflegemaßnahmen
Leitsatz (amtlich)
Unterlässt eine Pflegekraft Pflegemaßnahmen (z. B. Lagerung), ist dies eine Pflichtverletzung. Werden nicht erbrachte Pflegemaßnahmen in die Pflegedokumentation eingetragen, begründet dies regelmäßig eine erhebliche Pflichtverletzung. Derartiges Fehlverhalten muss vor Ausspruch einer fristlosen Kündigung grundsätzlich abgemahnt werden.
Normenkette
BGB § 626
Verfahrensgang
ArbG Lübeck (Teilurteil vom 30.08.2006; Aktenzeichen 5 Ca 340/06) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Teilurteil des Arbeitsgerichts Lübeck vom 30.08.2006 (5 Ca 340/06) wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gegen dieses Urteil ist das Rechtsmittel der Revision nicht gegeben; im Übrigen wird auf § 72 a ArbGG verwiesen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Arbeitgeberkündigung.
Die im Oktober 1953 geborene Klägerin trat am 24.01.2001 als Altenpflegehelferin in die Dienste der Beklagten. Zuletzt arbeitete sie als examinierte Pflegekraft mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 35 Stunden.
Die Beklagte betreibt in B. ein Senioren- und Therapiezentrum. Sie beschäftigt etwa 100 Arbeitnehmer. Im Pflegebereich arbeiten die Mitarbeiter im 3-Schicht-Betrieb. Am 26. und 27.01.2006 war die Klägerin jeweils in der Frühschicht, dem so genannten Frühdienst, u. a. für die Grundversorgung der Bewohnerin P. zuständig. In der zweiten Januar-Hälfte 2006 waren bei dieser Bewohnerin, die sich in der sog. Finalpflege befand, Hautdefekte an mehreren Körperteilen festgestellt worden. Am 26.01.2006 vermerkte die Klägerin im Pflegebericht Lagerungen der Bewohnerin P. für 08:00, 10:00 und 12:00 Uhr. Am 27.01.2006 vermerkte sie für 08:00 Uhr eine weitere Lagerung. An diesem Tag wurden bei der Bewohnerin mehrere Dekubiti festgestellt, und zwar im Sakralbereich, am Hinterkopf und an der Ferse.
Die Klägerin war erst seit dem 19.01.2006 auf der Station tätig, auf der die Bewohnerin P. versorgt wurde. Auf dieser Station arbeiteten seinerzeit insgesamt 20 – 24 Pflegekräfte.
Mit Schreiben vom 30.01.2006 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin fristlos, hilfsweise ordentlich zum nächstmöglichen Termin und erteilte der Klägerin gleichzeitig Hausverbot.
Bereits Anfang November 2005 hatte die Beklagte das Arbeitsverhältnis fristgemäß zum 31.01.2006 gekündigt. Den wegen dieser Kündigung von der Klägerin angestrengten Kündigungsschutzprozess (Arbeitsgericht Lübeck 5 Ca 3443/05) hat das Arbeitsgericht ausgesetzt. Mit ihrer am 08.02.2006 beim Arbeitsgericht eingegangenen Kündigungsschutzklage hat sich die Klägerin gegen die fristlose sowie hilfsweise fristgerechte Kündigung vom 30.01.2006 gewandt. Sie hat die Auffassung vertreten, die Kündigung sei weder als außerordentliche noch als ordentliche Kündigung wirksam. Sie habe bei der Pflege der Bewohnerin P. keine Pflichten verletzt. Vielmehr habe sie die Bewohnerin sogar überobligatorisch gepflegt. Die für den 26.01.2006 dokumentierten Lagerungen seien von ihr durchgeführt worden. Am Morgen des Folgetages habe sie gegen 07:00 Uhr zwei neue Hautverletzungen bei der Bewohnerin P. festgestellt. Daraufhin habe sie die Bewohnerin entlastend gelagert und weitere Maßnahmen ergriffen. Bei Dienstübergabe am Mittag habe sie auf die festgestellten Verletzungen hingewiesen. Eine generelle Anweisung, Dekubiti zu dokumentieren, gebe es nicht.
Die Klägerin hat beantragt,
es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis weder durch die fristlose noch durch die hilfsweise fristgerechte Kündigung der Beklagten vom 30.01.2006 aufgelöst worden ist.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat behauptet, die Klägerin habe die Bewohnerin P. weder am 26. noch am 27.01.2006 tatsächlich gelagert. Für den 27.01.2006 habe sie das um 09:30 Uhr dieses Tages auf Nachfrage des Mitarbeiters B. ausdrücklich zugegeben. Dass die Klägerin die Lagerungen an diesen beiden Tagen nicht durchgeführt habe, zeige der Zustand der Bewohnerin P.. Die am 27.01.2006 festgestellten Dekubiti seien zwei Tage vorher noch nicht vorhanden gewesen. Die Klägerin habe auch versäumt, die Dekubiti zu dokumentieren.
Durch Teilurteil vom 30.08.2006 hat das Arbeitsgericht festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 30.01.2006 nicht fristlos aufgelöst worden ist. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Klägerin könnten unterlassene Pflegehandlungen nicht vorgeworfen werden. Aus dem Zustand der Bewohnerin könne nicht auf unterlassene Lagerungen geschlossen werden. Denn auch durch regelmäßiges Lagern könne ein Dekubitus bei Schwerstpflegepatienten nicht verhindert werden. Fehler in der Dokumentation berechtigten nicht zur Kündigung aus wichtigem Grund, wenn dies nicht vorher abgemahnt worden sei. Nicht nachvollziehbar sei, wenn bei ca. 20 für die Patientenpflege zuständigen Personen ausg...