Entscheidungsstichwort (Thema)

Betriebsvereinbarung. Gleitzeit. Ausbildungsverhältnis. Teilnahme an Warnstreiks. Zeitguthaben. Verrechnung. Kürzung der Ausbildungsvergütung

 

Normenkette

BetrVG § 77

 

Verfahrensgang

ArbG Lübeck (Urteil vom 07.01.1993; Aktenzeichen II 1 Ca 2125/92)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 30.08.1994; Aktenzeichen 1 AZR 765/93)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Lübeck vom 07.01.1993 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte berechtigt gewesen ist, der – in einem Ausbildungsverhältnis stehenden – Klägerin von deren Gleitzeitstundenguthaben in den Monaten April und Mai 1992 insgesamt 13,15 Stunden abzuziehen, weil die Klägerin in diesem Umfang an Warnstreiks im Betrieb der Beklagten teilgenommen hatte.

Die Beklagte schloß mit ihrem Betriebsrat am 22.10.1991 eine Betriebsvereinbarung „Gleitende Arbeitszeit” (i. f. BV Gleitzeit), in der es u. a. heißt:

8.8.5

Private Unterbrechungen und unentschuldigtes Fehlen Private Unterbrechungen … werden grundsätzlich mit dem Gleitzeitstand verrechnet, können jedoch auch als Nicht-Arbeitszeit erfaßt werden.

Unentschuldigtes Fehlen wird auf keinen Fall bei der Gleitzeitrechnung berücksichtigt, sondern führt nach wie vor zum Verdienstabzug.

In einem Informationsschreiben der Beklagten vom 27.04.1992, das an den „Verteiler 3 (nur Lübeck) sowie an alle Gleitzeitbeauftragten” gerichtet war und die „Teilnahme von Mitarbeitern an Warnstreiks” betraf, heißt es u. a.:

Wir weisen … vorsorglich darauf hin, daß … für diejenigen Mitarbeiter, die während der Arbeitszeit an einem Warnstreik teilnehmen, die dadurch ausgefallene Arbeitszeit grundsätzlich nicht bezahlt wird, d. h. daß es in derartigen Fällen zu einem Lohn- bzw. Gehaltsabzug kommen wird.

Eine Gleitzeitverrechnung ist in derartigen Fällen nicht zulässig.

Die Klägerin nahm am 30.04., 08.05 sowie 13.05.1992 insgesamt 13,15 Stunden an Warnstreiks im Betrieb der Beklagten teil. In den Vergütungsabrechnungen für die Monate April und Mai hat die Beklagte die jeweils ausgefallene Ausbildungszeit mit dem Gleitzeitguthaben der Klägerin verrechnet. Eine derartige Verrechnung hat sie bei allen Auszubildenen, die am Streik teilgenommen hatten, vorgenommen, sofern ein ausreichendes Gleitzeitguthaben vorhanden war. Bei den Arbeitnehmern, die am Streik beteiligt waren, ist ein entsprechender Lohnabzug erfolgt.

Auf Antrag der Klägerin fand am 08.09.1992 vor dem Ausschuß für Ausbildungsstreitigkeiten in der Industrie- und Handelskammer zu Lübeck eine Schlichtungsverhandlung statt.

Die Klägerin hat vorgetragen,

für die Kürzung der Gleitzeitguthaben in den Monaten April und Mai 1992 um insgesamt 13,15 Stunden gebe es keine rechtliche Grundlage. In früheren Jahren habe die Beklagte, sofern Ausbildungszeit durch Streikteilnahme ausgefallen sei, Abzüge von der Vergütung vorgenommen.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin ein Gleitzeitguthaben in Höhe von 13,15 Stunden zu gewähren ohne Anrechnung auf den am 30.06.1992 bestehenden Guthabenbestand der Klägerin.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat vorgetragen:

Die BV Gleitzeit gehe von dem Grundsatz aus, daß zunächst und stets Zeitrückstände mit Zeitguthaben ausgeglichen würden; bei der Berücksichtigung von Zeitrückständen sei eine Rangfolge zu beachten; zunächst erfolge die Verrechnung aus dem AT-Tagesspeicher; falls dessen Zeitguthaben nicht ausreiche, sei der Rückgriff auf das Zeitguthaben aus dem Gleitzeitarbeitsspeicher vorgesehen; reiche dessen Guthaben nicht aus, erfolge die Verrechnung aus dem Guthaben des J-Speicher, in dem Mehrarbeitsstunden aufgenommen seien; genüge auch dieses Guthaben nicht, werde auf das Urlaubskonto zurückgegriffen. Erst wenn diese genannten Zeitguthaben für eine Verrechnung nichts hergäben, werde als letztes Mittel ein Geldabzug vorgenommen. Das Regel-/Ausnahmeverhältnis von Zeitverrechnung und Geldabzug könne nicht deutlicher dokumentiert werden.

Auf eine andere Handhabung habe die Klägerin nicht vertrauen dürfen, denn in den vergangenen Jahren sei stets ebenso verfahren worden.

Wegen des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes im übrigen wird auf das angefochtene Urteil des Arbeitsgerichts Lübeck vom 07.01.1993 nebst dessen Verweisungen bezug genommen.

Das Arbeitsgericht hat dem Begehren der Klägerin, ihr eine Zeitgutschrift von 13,15 Stunden zu gewähren, mit der Begründung entsprochen, daß die Beklagte nicht berechtigt gewesen sei, der Klägerin die Stunden ihrer Teilnahme an den Warnstreiks vom Gleitzeitguthaben abzuziehen; denn aufgrund der Streikteilnahme sei das Ausbildungsverhältnis der Parteien für die Dauer des Streiks suspendiert gewesen. Daß grundsätzlich auch Auszubildende das Recht hätten, sich an rechtmäßigen Streiks und Warnstreiks zu beteiligen, sei allgemein anerkannt; durch die Teilnahme an rechtmäßigen Streiks komme es zu einer Suspendierung des Arbeitsverhältnisses und damit der bei...

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