Orientierungssatz
(aus Wohnungswirtschaft & Mietrecht WuM)
1. Wer die Einschreibesendung bei der Post nicht abfordert, muß sich so behandeln lassen, als sei ihm der Inhalt des Einschreibens zugegangen.
2. Das Sonderkündigungsrecht des Erstehers des Wohngrundstücks kann unabhängig von der Dauer des Mietvertrags mit der gesetzlichen Kündigungsfrist geltend gemacht werden.
3. Ist der Vermieter im Innenverhältnis mit seinen Geschwistern im Wechsel zur Pflege der Eltern verpflichtet, stützt dieser Umstand den Eigenbedarf an der Mietwohnung, in der die Eltern wohnen sollen.
4. Zur Prüfung, ob Eigenbedarf vorgeschoben wird.
Gründe
(aus Wohnungswirtschaft & Mietrecht WuM)
Den Klägern steht der geltend gemachte Räumungsanspruch gegen die Beklagten zu. Durch Kündigungserklärung wurde der seit November 1964 bestehende Mietvertrag über die im Erdgeschoß gelegene Einzimmerwohnung im Hause in Aachen beendet.
Die Kläger haben fristgemäß von dem ihnen nach § 57a ZVG zustehenden Sonderkündigungsrecht Gebrauch gemacht. Die nach dem Zuschlagsbeschluß v. 9.3.1988 unter dem 18.3.1988 ausgesprochene Kündigung erfolgte zum ersten zulässigen Termin i.S. von § 57a Satz 2 ZVG.
Zweifel an der formellen Wirksamkeit der Kündigungserklärung bestehen nicht und werden von den Beklagten in II. Instanz auch nicht mehr aufrechterhalten. Die Beklagten können sich nicht darauf berufen, daß ihnen eine Vollmachtsurkunde der Prozeßbevollmächtigten der Kläger für den Ausspruch der Kündigung nicht vorgelegen habe. Der Kündigungserklärung, die den Beklagten unter ihrer Aachener Anschrift als Einschreiben gegen Rückschein zugesandt wurde, lag eine Vollmacht der Kläger für ihre Prozeßbevollmächtigten bei. Die Beklagten müssen sich auch so behandeln lassen, als sei ihnen die Originalkündigungserklärung mit beigefügter Vollmacht zugegangen, weil sie den tatsächlichen Zugang dadurch vereitelt haben, daß sie die Einschreibsendung bei der Post nicht abforderten. Vollendet ist der Zugang der Sendung aber dann, wenn die Kenntnis möglich und nach der Verkehrsanschauung zu erwarten ist.
Die Kündigung beendete das Mietverhältnis zum 30.6.1988. Die Kündigungsfrist beträgt unabhängig von der Dauer des Mietvertrages 3 Monate; dies folgt aus der für die außerordentliche befristete Kündigung geltende Regelung der §§ 57a ZVG, 565 Abs. 5, Abs. 2, Satz 1 BGB.
Die Kündigung führt wegen berechtigten Eigenbedarfs des Klägers zu 2) nach § 564b Abs. 2 Ziff. 2 BGB zur Beendigung des Mietverhältnisses. Nach dieser Vorschrift kann ein Vermieter das Mietverhältnis über Wohnraum dann kündigen, wenn er ein berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses hat. Eigenbedarf ist dann anzunehmen, wenn der Vermieter vernünftige nachvollziehbare Gründe für die Inanspruchnahme des Wohnraums für sich oder einen Familienangehörigen hat. Der Umstand, daß die schwerkranke und hochgradig pflegebedürftige 76jährige Mutter des Klägers zu 2) in dessen Nähe wohnen soll, um von diesem zeitweise in Aachen gepflegt werden zu können, genügt den an die Eigenbedarfskündigung zu stellenden Anforderungen. Auch eine beabsichtigte zeitweise Pflege im Wechsel ist Eigenbedarf im Sinne der genannten Vorschrift. Ob die Mutter zu eigenständiger Haushaltsführung in der Lage ist, ist für die Frage der Berechtigung des geltend gemachten Eigenbedarfs unerheblich. Nach der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung der Kammer fest, daß der Kläger zu 2) im Innenverhältnis zu seinen zwei Brüdern verpflichtet ist, sich angemessen an der Pflege seiner Mutter zu beteiligen. Gegenwärtig wird die Mutter - seit ihrer Entlassung aus dem Krankenhaus - bei dem Zeugen F. in Monschau versorgt. Nach der glaubhaften Bekundung dieses Zeugen besteht zwischen den drei Brüdern eine notarielle Vereinbarung darüber, daß alle drei Brüder an der Pflege der Mutter in gleicher Weise zu beteiligen sind. Der Zeuge, der das vormals elterliche Haus übernommen hat, in welchem seine Mutter lebt, ist nicht mehr bereit, die Pflege allein zu übernehmen. Das Haus, welches der Kläger zu 1) in Aachen bewohnt, scheidet als Unterbringungsmöglichkeit für die Mutter aus, weil sie keine Treppen mehr steigen kann. Nach dieser glaubhaften Zeugenaussage ist der Sachvortrag der Kläger, die von den Beklagten bewohnte Parterrewohnung werde für die Mutter des Klägers zu 2) benötigt, hinlänglich bestätigt.
Für die von den Beklagten vertretene Auffassung, der Eigenbedarf sei lediglich vorgeschoben, ergeben sich demgegenüber keine sicheren Anhaltspunkte. Selbst wenn die Kläger, die eine Tiefbauunternehmung betreiben, den Umbau des im wesentlichen leerstehenden Hauses und die Schaffung lukrativer Wohneinheiten planen - wie die Beklagten vortragen -, gibt dies keinen hinreichenden Anlaß zu der Annahme, die Parterrewohnung werde nicht für die Mutter genutzt werden. Die Beurteilung der Frage, ob sich die Räumlichkeit nach Größe, Schnitt und Beschaffenheit konkret zur Pflege eines Familienangehörigen und der Aufnahme einer Pflegeperson eignet, obliegt nicht den Mietern, s...